Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Annette fragt… Benny Müller

Krebs? – Den bekommen alte Leute… Krebs? – Der trifft Sofahocker… Krebs? – Daran stirbst du…

Mein heutiger Gast belehrt mich und euch in diesem Interview eines Besseren. Denn er widerlegt mit seiner Geschichte alle Vorurteile. Denn der supersportliche Benny erhielt mit 19 Jahren am Silvesterstag eine Hodenkrebsdiagnose.

Knapp zehn Jahre später steht er kerngesund und quietschvergnügt mitten im Leben. Er ist er globaler Produktmanager, leidenschaftlicher Handballspieler und begeisterter Jogger, der mit und für Jung und Krebs e.V. schon mehrmals am Freiburger Marathon teilgenommen hat.

Freut euch auf ein Interview, das trotz absolut knackigen Krebsthemas von einem wundervoll humorig-ironischen Unterton durchzogen wird und einfach Lust aufs Leben macht.

Annette: Lieber Benny, ich freue mich sehr, dass du bereit bist, deine Geschichte hier bei „Annette fragt“ zu erzählen. Stell´ dich doch bitte zunächst mal kurz vor.

Wie alt bist du, was machst du so…?

Benny: Ich heiße Benny, bin 28 Jahre alt und arbeite als globaler Produktmanager in einem internationalen Pharmakonzern. Seit meiner Kindheit spiele ich leidenschaftlich gern Handball und verbringe somit mindestens drei Tage die Woche in einer muffeligen Sporthalle 😊 .

Während der Corona-Zeit habe ich das Joggen für mich entdeckt. Zunächst angedacht, um während der handballfreien Zeit nicht ganz so stark einzurosten, ist es für mich mittlerweile zu einem zweiten Hobby geworden. Inzwischen laufe ich neben dem Handballtraining im Schnitt 50 km pro Monat, oft zusammen mit meinem Bruder.

Das ist für uns immer die perfekte Gelegenheit, um uns über die neuesten Geschehnisse auszutauschen. Daneben hat mir das Ganze natürlich auch geholfen. um etwas schneller auf dem Handballspielfeld zu werden 😉.

Ein jährlicher Halbmarathon ist dabei fast schon zu einem Ritual geworden. Selbstverständlich immer im Trikot von Jung und Krebs e.V. beim Freiburg Marathon!

Zusätzlich habe ich zusammen mit ein paar sehr guten Freund*innen einen Weinhang in der Region gepachtet. Wir schneiden und pflegen die Reben und am Ende stellen wir unseren eigenen Riesling her. Nach einem intensiven Arbeitseinsatz in den Reben gibt es für uns nichts Besseres als mit einem Glas unseres eigenen Weins den Kopf freizubekommen und neue Energie zu tanken.

Annette:  Hey, das find´ich mega. Tolle Sache, wow. Nun kommt ein krasser Schnitt – vom Wein zum Krebs sozusagen…

Lass´ uns bitte zunächst zum Silvestertag im Jahr  2015 zurückgehen. Da änderte sich dein Leben von einem Tag auf den anderen, denn du bekamst die Diagnose Hodenkrebs. Ein mehr als übler Abschluss des Jahres…

Wie kam es zu deiner Diagnose? Welche Symptome hattest du?

Benny: Die ganze Geschichte begann eigentlich schon am 30.12.2015. Also einen Tag vor Silvester.

Wenige Tage zuvor hatte ich meinen 19. Geburtstag gefeiert. Wie es in dem Alter so üblich ist, saßen wir bei einem guten Freund zusammen, tranken ein paar Colaweizen und spielten gemeinsam Fifa.

Als ich bei ihm auf die Toilette ging, bemerkte ich während des Urinierens, dass mein linker Hoden ungewöhnlich hart war, fast schon steinhart. Das Ganze machte mich etwas skeptisch und ich zückte als ich Zuhause war mein Handy und googelte nach “Harter Hoden“. Google spuckte mir daraufhin prompt die Diagnose Hodenkrebs bzw. den Verdacht eines Hodenkarzinoms aus.

Mit fünf bis sechs Colaweizen intus nahm ich das Ganze aber nicht allzu ernst und habe das erstmal als typische Übertreibungen von Dr. Google abgetan.

Am nächsten Morgen hatte ich allerdings immer noch das Gefühl, als wäre mein linker Hoden ein Stein. Ich googelte noch einmal und kam wieder zum gleichen Ergebnis.

 Das verunsicherte mich dann doch so sehr, sodass ich mich schließlich meinem Bruder anvertraute. Wir wohnten damals noch bei unseren Eltern und er lag gerade auf der Couch. Ich sagte zu ihm: „Andi, mein linker Hoden ist echt hart. Denkst du, da sollte ich etwas tun?“ Er schmunzelte und fragte mich, ob ich noch ganz rund laufen würde. Das wäre wohl die Reaktion eines jeden von uns gewesen, wenn sein Bruder mit einem derartigen Problem auf einen zukommen würde.

Mein Vater kam just in diesem Moment in das Wohnzimmer und bekam das Gespräch mit. Er nahm meine Sorgen sehr ernst und rief gleich meine Tante an, die glücklicherweise bei einem Urologen arbeitete. Sie riet uns dringend dazu, das im Krankenhaus untersuchen zu lassen.

Am Silvestermorgen fuhren schließlich mein Vater und ich dann nach Offenburg ins Krankenhaus. Schon nach wenigen Minuten kamen wir ins Behandlungszimmer und ich wurde per Ultraschall untersucht. Die Untersuchung zog sich ziemlich lang hin und der Arzt machte immer wieder Fotos mit dem Ultraschallgerät. Währenddessen stellte er mir nur eine Frage: Ob ich mal einen Handball oder etwas Ähnliches in die Weichteile bekommen hätte. Ich verneinte.

Der Arzt seufzte und murmelte etwas vor sich hin. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte, bis mein Vater wohl auch irgendwann die Geduld verlor und direkt fragte: „Ist es Krebs?“ Der Arzt antwortete schnell: „Das kann ich nicht ganz ausschließen. Es deutet einiges darauf hin.“

Annette: Uff… Harter Tobak gleich zu Beginn des Interviews… Danke für diene Offenheit…

Ich kann mir nicht im Ansatz vorstellen, wie es sich anfühlt, in diesem jungen Alter eine Krebsdiagnose zu erhalten. Wie ging es dir und deiner Familie damit? Welche Gedanken hattest du?

Benny: Als das Wort “Krebs“ fiel, stieg in mir eine Mischung aus Wut, Aggression, Unverständnis und Panik empor. Fast so, als hätte ich im Handball den entscheidenden 7-Meter-Wurf zur Meisterschaft neben das Tor gesetzt. Genauso fühlte ich mich in diesem Moment.

Diese Gefühlswelle brachte mich dazu, mich förmlich am Stuhl festzukrallen, dann aus ihm herauszuspringen, wild im Raum hin und her zu laufen und schließlich den Arzt indirekt zu beschuldigen, keine Ahnung zu haben. Ich schlug ihm sogar vor, sich zur Sicherheit eine zweite Meinung einzuholen.

Das fand der Arzt natürlich alles andere als lustig und mein Vater musste mich in dem Moment beruhigen. Ansonsten hätte wahrscheinlich der behandelte Arzt die Untersuchung sofort abgebrochen.

Mit dem möglichen Befund fuhren wir dann wieder 30 Minuten nach Hause. Die anfängliche Wut war inzwischen weitgehend verflogen. Ich fühlte mich einfach leer und war zum ersten Mal in meinem Leben wirklich sprachlos.

Zuhause wartete meine Mutter in der Küche. Ich sagte nur den Satz: „Es ist wahrscheinlich Krebs.“ und übergab ihr den Befund.

Was meine Eltern und mein Bruder in diesem Moment gefühlt haben, kann ich ehrlich gesagt nach all den Jahren nicht mehr genau beschreiben. Meine Tante sprach uns jedoch Mut zu und betonte, dass die Behandlungsmöglichkeiten bei dieser Form von Krebs sehr gut seien. Das gab mir zunächst etwas Zuversicht und Ruhe.

Im Nachhinein betrachtet nahm ich den inneren Kampf relativ schnell an. Das Abitur stand in wenigen Monaten vor der Türe und ich wusste, dass ich es unbedingt erfolgreich abschließen musste, da ich bereits einen Vertrag für ein duales Studium unterschrieben hatte. Ein längerer gesundheitlicher Ausfall oder eine Wiederholung der Jahrgangsstufe war für mich damals der Worst Case.

Ich war zum damaligen Zeitpunkt in einem Art Tunnel, bei dem ich wusste, ich muss jetzt einfach funktionieren. Ich sagte mir immer wieder innerlich, dass der Blick nach vorne gehen muss, komme was wolle. Genauso wie ich es sportlich im Handball über all die Jahre gelernt hatte.

Annette: Oh, in diesem jungen Alter schon so eine Reife zu haben, ist erstaunlich. Wie ging es dann medizinisch weiter? Wie wurdest du behandelt?

Benny: Nach dem ersten Befund folgte kurz nach Silvester ein Screening-Tag, an dem eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt wurden. Im Krankenhaus wurde mir Blut abgenommen, ich wurde geröntgt, und natürlich durfte ein CT nicht fehlen, bei dem mir Kontrastmittel in sämtliche Körperöffnungen injiziert wurde. Weitere Details erspare ich euch an dieser Stelle…

Annette: Danke 😉

Benny: Damit wurde geprüft, ob der Krebs bereits gestreut hatte. Am 04. Januar stand dann bereits die große Operation an, bei der der Tumor in meinem linken Hoden entfernt wurde. Während der Operation wurde mit einem sogenannten Schnellschnitt an meinem rechten Hoden analysiert, ob dieser ebenfalls befallen war. Wäre dies der Fall gewesen, hätte man direkt auch hier operativ eingegriffen. Zu meinem Glück kam es hierzu nicht.

Ich verbrachte zwei Tage im Krankenhaus, während denen mich einige meiner Freunde besuchten. Wie es in unserer Clique bis heute der Fall ist, nehmen wir vieles mit Humor. Und so gelang es meinen Kumpels mir selbst in meiner schwersten Stunde ein kleines Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Sie kamen mit meiner damaligen Leibspeise, einem Fleischkäsewecken und nahmen mich als Witz mit einem Ü-Ei als Präsent etwas auf die Schippe. Bis ich den Scherz mit dem Ü-Ei verstanden hatte, vergingen jedoch ein paar Minuten.

Annette: Sehr coole Aktion, hihi.

Benny: Der behandelnde Arzt teilte mir kurz vor meiner Entlassung mit, dass der Krebs zum Glück nicht gestreut hatte. Dennoch war das Thema “Chemotherapie“ noch nicht vom Tisch. Einige Wochen später entschied dann ein sogenanntes Tumorboard darüber.

Den erlösenden Anruf erhielt ich dann am 5. Februar: Keine Chemotherapie notwendig!

Ich hatte ganze 32 Tage bzw. 46.080 Minuten oder rund 768 Handballspielen auf diesen Anruf gehofft und gebangt. Meine größte Sorge wurde mir damit erstmal genommen und es fiel eine enorme Last von meinen Schultern.

Darauf folgten fünf Jahre mit einer aktiven Überwachung einer sogenannten “Active Surveillance“. Dabei wurde ich regelmäßig mit bildgebenden Verfahren wie CTs und MRTs überwacht. Hinzu kamen Urologentermine mit Ultraschall, Blutabnahmen, Röntgenaufnahmen und anderen Untersuchungen. Zu Beginn erfolgten diese Kontrollen sehr engmaschig alle drei Monate, später nur noch einmal jährlich.

Ziel dieser Überwachung war es, die Gefahr eines Rezidivs, also eines Wiederauftretens des Krebses, zu überwachen. Bei Hodenkrebs liegt die Rückfallrate glücklicherweise relativ niedrig, bei etwa 15 %. Nach fünf Jahren ohne Anzeichen eines Rezidivs gilt die Heilung als weitgehend abgeschlossen, da der Krebs in der Regel nicht mehr zurückkehrt.

Rückblickend betrachtet hatte ich extrem viel Glück, weil ich die ersten Symptome nicht ignoriert habe, sondern frühzeitig darüber sprach. Viele junge Männer verspüren Scham oder finden es peinlich und ignorieren daher erste Anzeichen. Das kann leider schwerwiegende Folgen haben.

Ich hatte das große Glück, dass ich eine sehr enge und offene Beziehung zu meinem Bruder und meinen Eltern habe. Diese Offenheit hat mir geholfen, frühzeitig Unterstützung zu suchen und mich mit den Symptomen direkt auseinanderzusetzen. Das hat mich letztlich vor schlimmeren Konsequenzen bewahrt. Hätte ich diese Unterstützung nicht gehabt und nicht offen darüber gesprochen, wäre es wohl nicht so glimpflich ausgegangen.

Als das Wort „Krebs“ fiel, stieg in mir eine Mischung aus Wut, Aggression, Unverständnis und Panik empor. Fast so, als hätte ich im Handball den entscheidenden 7-Meter-Wurf zur Meisterschaft neben das Tor gesetzt.
- Benny, Krebsdiagnose mit 19 Jahren

Annette: Du warst zu diesem Zeitpunkt im Abschlussjahr des Gymnasiums, das Abitur stand dir eigentlich bevor… Hast du das neben der Behandlung „durchgezogen“ oder wurdest du befreit und hast im Homeschooling gearbeitet und von daheim aus gelernt?

Benny: Man mag es kaum glauben, aber in dieser ganzen Zeit habe ich lediglich einen einzigen Schultag verpasst. Zu Beginn wusste ich ja nicht, wie es mit mir weitergehen würde, vor allem in den ersten vier Wochen nach den Weihnachtsferien. Ich dachte mir, dass ich jede Minute, die ich noch in der Schule verbringen konnte, nutzen sollte. In dieser Zeit habe ich, glaube ich, so konzentriert wie nie zuvor dem Unterricht gelauscht.

Aufgrund meiner Operation hatte ich eine große Narbe im Leistenbereich, was es mir erschwerte, längere Zeit zu sitzen. Der Rektor meiner Schule war mir in dieser Zeit eine große Hilfe und stellte mir höchstpersönlich einen Stehtisch für die ersten Wochen zur Verfügung. So konnte ich im Stehen am Unterricht teilnehmen, wenn der Druck auf die Narbe zu groß wurde. Zusätzlich trug ich in dieser Zeit keine Jeans, sondern saß bzw. stand mit Jogginghosen im Unterricht. Ein kleiner Bequemlichkeitsbonus, den ich sehr zu schätzen wusste, zumal meine Mutter sonst immer strikt gegen Jogginghosen in der Schule war.

Annette: Da bin ich wohl dieselbe Art Mutter 😉

Benny: Als ich schließlich den Anruf erhielt, dass ich keine Chemotherapie benötigte, fiel mir, wie bereits beschrieben, ein großer Stein vom Herzen. Dennoch beschäftigte mich weiterhin die Möglichkeit eines Rezidivs.

Die Gedanken rund um das Thema “Krebs“  schwirrten ständig in meinem Kopf herum. In dieser kurzen Zeit konnte ich das alles noch nicht wirklich verarbeiten.

Mein ursprünglicher und zugleich größter Ausgleich, der Handball fiel aufgrund meines körperlichen Zustands weg und so suchte ich Zuflucht im Lernen. Das lenkte mich gut von den kreisenden Gedanken und der inneren Unruhe ab. Ich schrieb Zusammenfassungen, machte Übungsaufgaben und lernte fast jede freie Minute, um mich nicht ständig mit der Zukunft und all dem, was noch kommen könnte, zu beschäftigen.

Ich war, wie schon erwähnt, wie im Tunnel und funktionierte einfach. Am Ende zahlte sich der Tunnelblick für mich zumindest schulisch aus und ich schloss das Abitur als Jahrgangsbester mit einer Endnote von 1,2 ab.

Annette: What!?!?!?!? Das ist ja unfassbar. Glückwunsch noch zig Jahre danach! Ich erinnere mich noch gut an die Zeit nach meinem Abitur. Ich ging zunächst als AuPair nach Paris, machte dann ein Praktikum in Kindergarten und begann dann in Freiburg zu studieren. Eine tolle Zeit, in der ich mich unbeschwert ausprobieren, Leute kennenlernen, weggehen konnte. Eine lebensbedrohliche Erkrankung oder gar Krebs hatte ich damals in keinster Weise auf dem Schieber. „Krebs ist ja was für alte Leute“…

Wie war das denn bei dir? Konntest du dich unbefangen in diese Zeit des Erwachsenwerdens hineinbegeben oder spukte der Gedanke an den Krebs immer wieder in deinem Kopf herum?

Benny: Nachdem ich meinen selbst gesetzten Meilenstein, das Bestehen des Abiturs, erreicht hatte, dachte ich, jetzt müsste es endlich bergauf gehen.

Ehrlich gesagt, begann hier jedoch erst die wirklich schwierige Zeit für mich…

Ich hatte einige Monate frei, bevor mein duales Studium begann und in dieser Zeit saß ich viel zu Hause. Während andere durch die halbe Welt reisten, feierten oder bei großen Automobilzulieferern mit Bandarbeit viel Geld verdienten, hatte ich plötzlich Zeit, über das, was in den letzten Monaten passiert war, nachzudenken.

Und das war nicht einfach. Auf diese Monate in meinem Leben blicke ich nicht gerne zurück.

Mit dem Start meines Studiums und im Laufe der Jahre verblassten die schlimmen Gedanken immer mehr. Lediglich alle paar Monate kamen sie wieder hoch, wenn die nächste Untersuchung anstand.

Doch über die Jahre sind diese Gedanken größtenteils verschwunden. Heute kann ich der Erkrankung auf meine Art und Weise sogar mit Humor begegnen, auch wenn sich dies für manche außenstehende Person vielleicht seltsam anhören mag.

Annette: Ich weiß, dass du schon mehrfach für Jung und Krebs e.V. am Freiburg Marathon teilgenommen hast. Wie kamst du zur Selbsthilfe und was bedeutet sie für dich?

Benny: Das Ganze war einfach ein glücklicher Zufall. Ich hatte auf Facebook gesehen, dass Jung und Krebs e.V. noch Läufer*innen für die Marathonstaffel beim Freiburg Marathon suchte. Also fasste ich mir ein Herz und meldete mich bei Carsten, dem Gründer von Jung und Krebs.

Nur wenige Wochen später stand ich dann bereits mit einem guten Freund gemeinsam im Jung -und-Krebs-Trikot an der Freiburger Messe und war offiziell Teil der Gruppe.

Seitdem nehme ich hin und wieder an Gemeinschaftsaktionen von Jung und Krebs teil. Da ich jedoch rund eine Stunde von Freiburg entfernt wohne, ist dies eher die Seltenheit.

Aktiv an einer Selbsthilfesitzung habe ich nie teilgenommen, obwohl es sicherlich gut für mich gewesen wäre. Speziell in der Zeit nach dem Abitur.

Nichtsdestotrotz bin ich sehr froh, dass es ein solches Angebot für junge Menschen gibt. Durch Jung und Krebs e.V. habe ich neue Bekanntschaften geschlossen, Schicksale miterleben dürfen und viele wertvolle Erfahrungen für das Leben gesammelt.

Für mich war es immer wichtig, auf diese Erkrankung aufmerksam zu machen und sie nicht hinter verschlossenen Türen zu verstecken, sondern auch Verbundenheit und Lebensfreude mit anderen Betroffenen zu erleben. Genau dafür bietet Jung und Krebs e.V. für mich die perfekte Plattform.

Annette: Krebs ist ein Tabu. Krebs bei jungen Menschen ist noch ein viel größeres Tabu. Ich finde es megaklasse von dir, dass du als junger Mensch, der in seinem sehr jungen Alter eine Krebsdiagnose erhalten hast, hier auf meinen Blog deine Geschichte teilst und somit damit in die Öffentlichkeit gehst.

Warst du im Umgang mit deiner Erkrankung immer so offen oder hast du sie zunächst versteckt?

Benny: Direkt nach der Diagnose hatte ich zunächst ein starkes Schamgefühl. Einerseits war da das Thema “Krebs“ an sich und dann war das Ganze noch mit einer Stelle verknüpft, die in meinem Alter mehr als unangenehm war. Ich wollte am liebsten alles für mich behalten und einfach schweigen.

Doch mein Vater riet mir, offen mit der Erkrankung umzugehen und sie zu kommunizieren. Er sagte, sonst würde nur gemunkelt, getuschelt, und am Ende kämen die wildesten Gerüchte auf.  Er meinte: „So schaffst du von Anfang an Klarheit, auch wenn es dir vielleicht schwerfallen mag.

Also informierte ich direkt am Silvesterabend meine besten Freunde, mit denen ich in das neue Jahr feierte, über die Situation. Ein paar Tage nach der Operation rief meine Mutter in der Schule an und ich sprach auch telefonisch mit meinem damaligen Handballtrainer, um ihm mitzuteilen, dass die Runde für mich gelaufen sei.

Ich erinnere mich noch sehr genau an dieses Telefonat. Es war einer der ersten Momente, in denen mir wirklich bewusst wurde, dass ich ernsthaft krank war. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich nicht ins Training gehen, konnte keinen Handball mehr in die Hand nehmen und nicht mehr die Atmosphäre in der Halle am Wochenende erleben.

Etwas, das mir in meiner Freizeit am meisten bedeutete, wurde mir von heute auf morgen genommen.

Trotz allem bin ich heute sehr dankbar für den Rat meines Vaters. Es war die richtige Entscheidung, denn dadurch kamen nie wirklich Gerüchte oder Spekulationen über meine Situation auf.

Annette: Ich bin ehrlich: Ich weiß nicht, wie ich mit 19 Jahren reagiert darauf hätte, wenn ein Kumpel oder eine Freundin von mir gesagt hätte: „Du, ich hab‘ Krebs.“

Welche Reaktionen hast du erfahren? Konnte dein Freundeskreis in einer für dich passenden Art und Weise mit deiner Geschichte umgehen?

Benny: Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich. Ein großer Teil der Personen ignorierte das Thema nach außen hin und sprach mich nicht direkt darauf an. Sie fragten nicht, wie es mir ging oder nach meinem Behandlungsstand. Ich glaube, viele wussten einfach nicht, wie sie mit so etwas umgehen sollten.

Der eher geringere Teil fragte aktiv nach meinem Befinden, wünschte mir gute Besserung oder erzählte von Promis, die ebenfalls an Krebs erkrankt waren und nun wieder als geheilt galten.

Jeder Betroffene bevorzugt in so einer Situation eine andere Art von Reaktion. Letztlich war mir damals persönlich nur wichtig, dass man mir keine Sonderbehandlung im Alltag zukommen ließ und mich nicht wie einen „Aussätzigen“ behandelte.

Im Grunde ging es mir ja gut, abgesehen von der Narbe, die mich in meinem Bewegungsapparat einschränkte.

Mein Freundeskreis hat in dieser Zeit definitiv richtig reagiert. Die Leute haben mir Mut zugesprochen, mit mir zusammen etwas unternommen und mich unterstützt, wo es nötig war. Sei es, dass sie mir einfach den Schulranzen getragen haben.

Dafür bin ich ihnen noch heute sehr dankbar.

Eulenspiegel Freunde Aspect Ratio
Benny im Kreis seiner Freunde

Annette: Ich lasse mich gern von Mottoshirts oder auch Socken mit Smileys zu Nachsorgeuntersuchungen begleiten oder zünde eine spezielle Kerze an. SO versuche ich mein Mindset etwas auszutricksen und das Kopfkino zu vertreiben.  Hast du einen Spruch, ein Buch, einen speziellen Stein oder auch ein Kuscheltier, das dich während deiner Erkrankung oder auch in der Zeit der Nachsorge begleitet und dir Kraft und Halt gegeben hat?

Benny:  Ehrlich gesagt fällt mir da vor allem der Satz ein, den vermutlich vor allem Carsten Witte (der Mann hinter Jung und Krebs e.V.) geprägt hat: „Humor statt Tumor“. Dieser Spruch hat mir sofort gefallen und jedes Mal vor einer Untersuchung habe ich ihn nochmals gedanklich im Kopf zu mir selbst gesagt.

Annette: Benny, verzeih‘, wenn ich nun sehr, sehr persönlich werde. Und du hast auch alles Recht der Welt, diese Frage einfach zu ignorieren. Aber sag‘… Ist es für dich nach deiner Erkrankung möglich, Kinder zu zeugen? Oder hast du vom Thema „eigene Kinder“ durch die Diagnose Abschied nehmen müssen, bevor es wohl überhaupt Thema gewesen ist.

Benny: Selbstverständlich beantworte ich auch diese Frage und du musst dich dafür keineswegs entschuldigen!

Bevor ich operiert wurde, wurden in Straßburg meine Spermien eingefroren. Die Termine dort gehörten zu den unangenehmsten und skurrilsten Erfahrungen, die ich in dieser Zeit hatte. Die Details erspare ich euch an dieser Stelle wieder 😊.

Das Ganze war eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass ich eine Chemotherapie bekommen würde. Dies hätte im Endeffekt meine Fruchtbarkeit beeinträchtigen können. Glücklicherweise war dies jedoch nicht der Fall, sodass ich heute ganz normal wie jeder andere Mann auch Kinder zeugen kann 😊.

Annette: Sport, gute Ernährung, ein positives Mindset. Sicherlich kennst du all diese Tipps für ein gesundes Leben, die einem als ehemaliger Krebspatient noch viel lauter und offensiver um die Ohren geschlagen werden als „normal gesunden Leuten“. Würdest du sagen, dass du aufgrund deiner Erkrankung ein gesünderes Leben lebst als andere Männer in deinem Alter? Oder warst du genauso wild und bist genauso locker und unbefangen wie andere auch?

Benny: Ich denke, dass ich schon vor meiner Krebserkrankung ein relativ gesundes Leben geführt habe. Natürlich könnte man an der einen oder anderen Stelle noch ein Bier weniger trinken oder die Chips am Abend weglassen. Aber im Endeffekt muss man es auch nicht übertreiben.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese schwere Zeit relativ schnell hinter mir lassen konnte.

Heute genieße ich die kleinen und schönen Momente des Lebens umso bewusster. Sei es eine tolle Reise, ein wilder Abend mit den Jungs in der Disco oder einfach ein positives Feedback bei der Arbeit.

Diese Momente weiß ich jetzt viel mehr zu schätzen als früher. Ich denke, dass ich sie ohne meine Krankheit nicht in der gleichen Weise wahrgenommen hätte.

Kurz gesagt: Ich gehe immer noch entspannt und unbeschwert durch das Leben, aber mit einer deutlich größeren Wertschätzung für viele Dinge.

Annette: Benny, die letzten Zeilen deines Interviews gehören dir. Was möchtest du anderen Betroffenen oder vielleicht auch ihren Angehörigen gerne mit auf den Weg geben?

Benny: Es ist von großer Bedeutung, offen über die Erkrankung zu sprechen und sich Unterstützung zu suchen. Besonders in schwierigen Momenten, wenn man sich vielleicht allein fühlt oder nicht weiß, wie man mit der Situation umgehen soll, hilft es sich zu öffnen. Auch wenn es einem schwerfallen mag, die Last zu teilen, macht es den eigentlichen Weg oft erträglicher. Und dieser Weg geht für jeden von uns weiter.

Auch wenn die Krankheit viele Fragen aufwirft, kann man dabei auch viel über sich selbst lernen.

Am Ende wird die Krankheit ein Teil des Lebens werden, aber sie sollte nicht das ganze Leben bestimmen.

Zu guter Letzt ist es mir ein persönliches Anliegen, jungen Männern zu empfehlen, regelmäßig ihre Hoden abzutasten. Bei Unstimmigkeiten sollte man nicht zögern, offen darüber zu sprechen und gegebenenfalls einen Arzt aufzusuchen. Wie ihr aus meinen eigenen Erfahrungen sehen konntet, lässt sich durch frühzeitiges Handeln Schlimmeres verhindern 😉 .

Annette: Lieber Benny, ich bedanke mich von ganzem Herzen bei dir für deine Bereitschaft, mir von dir zu erzählen und mir deine Zeit zu schenken. Für die Zukunft wünsche ich dir alles, alles Gute. Vielleicht sieht man sich ja irgendwie mal bei und mit Jung und Krebs e.V. Ich würde mich sehr freuen!

Benny: Das wird mal klappen. Allerspätestens beim nächsten Marathon in Freiburg!

Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…” Darunter eines mit Carsten, Carmen und Desi vom Freiburger Team sowie Markus und Marvin vom Team Wutachtal

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Große Handballliebe

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