Krebs – Liebe – Punkt NULL
Annette fragt… Antje Vorndran
Ich verstehe ja nicht, wie Instagram funktioniert und auf welch wundersamen Wegen einem da plötzlich Posts von Leuten unterkommen. Aber so bin ich in Kontakt zu vielen interessanten Menschen gekommen. Eine davon ist die liebe Antje Vorndran. Sie ist Buchautorin, Gefühlsmonster-Trainerin (ja, gibt es wirklich!) Mutter zweier Teens und leidenschaftliche „Na-das-kann-ich-doch-auch-selber-machen“-Kreativausprobiererin.
Sie hatte selbst vor 8 Jahren Brustkrebs, durchlief genau wie ich Chemotherapie, Bestrahlung und Antihormontherapie. Sie hat ein Buch für Brustkrebspatientinnen geschrieben, was meiner Meinung nach einen Platz in vielen Bücherregalen finden sollte.
Dennoch fehlt es in meinem Blogtext, auf dem ich meine „Krebs-Bestsellerliste“ vorstelle. Warum? Weil es ein „Buch der etwas anderen Art ist“. Eine wunderbare Mischung aus: Erlebnisbericht, Sachbuch und Workbook für die Seele mit vielen praktischen Übungen und Raum für Notizen.
Ich freue mich, dass Antje uns heute ein bisschen von sich und vor allem auch von ihrem tollen Buch erzählt.
Annette: Liebe Antje, auch du hattest Brustkrebs. Gib uns doch kurz einen Einblick in deine Therapiezeit und erzähl uns, wie es dir heute geht.
Antje: Meine Brustkrebsgeschichte begann im Frühsommer 2014, als ich mit großer Vorfreude der Fußball-WM entgegenfieberte. Ich war 38, mit zwei kleinen Kindern, und hatte als selbständige Analystin in der Marktforschung gerade einen tollen Auftrag von einem neuen Kunden an Land gezogen. Kurz gesagt, es lief richtig gut! Eines schönen Morgens hatte ich das Gefühl, dass meine Haut am Brustbein so komisch, irgendwie innerlich, juckte und wie ich genau da hinfasse, war da auf einmal ganz deutlich ein Knoten zu spüren. „Hä?“, dachte ich erst. Und dann: „Wird wohl eine Verspannung sein …“
Ich denke, viele von uns kennen einen solchen oder ähnlichen Anfang. Gerade, wenn man noch so jung ist, ist das Thema Krebs ja nicht unbedingt das erste, was einem einfällt.
Ja und nachdem ich dann doch vorsichtshalber einen Termin bei meiner Frauenärztin gemacht hatte, ging alles sehr schnell. Diagnose, Diagnostik, Port, Chemos, gefolgt von einer BET und Strahlentherapie. Insgesamt bin ich ganz gut durch die einjährige Therapiezeit gekommen, es gab keine größeren Komplikationen außer, dass ich die letzte Chemo sausen lassen musste, weil meine Leukos so im Keller waren. Auch mit der anhaltenden Antihormontherapie – jetzt im siebten Jahr! – komme ich zurecht. Natürlich habe ich Federn gelassen und einige Nachwirkungen wie kaputte Nägel begleiten mich bis heute. Aber ich bin krebsgesund, seit nunmehr acht Jahren, und das ist, was zählt!
Die WM war übrigens am Ende einer meiner Kraft- und Haltepunkte während der Chemos und als wir Weltmeister wurden, habe ich gedacht: „Na, das ist doch mal ein Omen, das ich gerne auch für mich mitnehme.“
Annette: In deinem Buch schreibst du „Meine Erkrankung war mal Höllenfahrt, mal Heldinnenreise und meistens alles dazwischen.“ Was meinst du damit?
Antje: Ich empfand meine Therapiezeit immer wieder als ein ständiges Auf und Ab, sowohl körperlich als auch emotional. Gerade die Chemos – mit jedem Mal waren sie schwerer zu ertragen – hatten so ihren eigenen Rhythmus für mich, in dem ich erst einmal gefühlt direkt in den Höllenschlund zugesteuert bin, nur, um kurz vorher doch noch die Biege zu machen und wieder „aufzutauchen“ bis zum nächsten Zyklus, wenn alles wieder von vorne begann. Irgendwann hatte ich in dieser Zeit mal das Bild, dass mich die Chemo in viele kleine Teile haut und sich mein Körper und meine Seele jedes Mal wieder neu zusammenpuzzeln mussten. Das waren Extremerfahrungen, fand ich, mit allem dazwischen, daher auch die extreme Beschreibung.
Annette: Ich habe meinen Krebsblog während der Chemozeit gestartet. Das Schreiben war für mich sehr befreiend und durchaus heilsam. Hast du während deiner Krankheitszeit Tagebuch geführt? Wenn ja, warum und würdest du das anderen Patientinnen auch empfehlen?
Antje: Während der Akutzeit habe ich kaum geschrieben. Ich war tatsächlich schon vorher nie eine regelmäßige Tagebuchschreiberin, insofern hatte ich diesen Impuls auch während meiner Erkrankung nicht. Dazu kam, dass ich oft auch einfach nicht schreiben konnte, es fehlte mir die Energie dazu. Was ich allerdings gemacht habe war, was ich „Jeden Tag ein Selfie“ genannt habe. Während der schwierigsten Phase der Chemo habe ich jeden Tag ein Foto von mir gemacht, primär, damit ich mir vor Augen führen konnte, dass ich, trotz eines oft entgegengesetzten Gefühls, jeden Tag ein kleines bisschen besser aussah. Heute bemerke ich, wie ich mit diesen Bildern auch noch viele Gedanken aus dieser Zeit abgespeichert habe. Das war auch so eine Art Mini-Fototagebuch. Tatsächlich beruhen viele meiner Geschichten, die ich in meinem Buch aufgeschrieben habe, mein persönliches Erleben, auf solchen mentalen „Schnappschüssen“. Kann ich das empfehlen? Klar. Wenn es für dich passt. Denn worauf es ankommt, ist doch, dass jede Frau nur das machen sollte, was ihr auch gut tut.
Annette: In meinem Hinterkopf keimt der Gedanke, ein Buch über meine Krebsreise zu schreiben. Du hast das getan. Wann hast du dein Buch geschrieben, schon während der Erkrankung oder erst später? Wie lange hast du dafür gebraucht? Wie bist du dabei vorgegangen?
Antje: Ich hatte nie vor, ein Buch über meine Erkrankungszeit zu schreiben! Ich konnte mir das wirklich gar nicht vorstellen, denn ich dachte sofort an Krebserkrankungsberichte, von denen es schon so viele gab. Warum also noch so eine Geschichte herausbringen? Außerdem fand ich das auch für mich viel zu intim.
Die Idee für mein Buch entwickelte sich erst nach dem Ende der Therapien. Denn im Zuge meiner Verarbeitung dieses verrückten Therapiejahres habe ich mich oft gefragt, was mir gefehlt hat und damit verbunden, was mir noch geholfen hätte. Und dann trieb mich die Frage um, wie ich dieser ganzen Scheißzeit einen Sinn geben könnte. Daraus wuchs ursprünglich der Gedanke, einen kleinen Ratgeber mit Tipps und Tricks rund um das Management von Nebenwirkungen und Co. zusammenzustellen. Hängen geblieben bin ich dann jedoch immer wieder bei der emotionalen, der seelischen Ebene. Hier hätte ich mir, trotz toller psycho-onkologischer Begleitung, mehr gewünscht. Etwas zwischen der Oberflächlichkeit der meisten Pharmabroschüren und der Ausführlichkeit und Vielzahl an Ratgeberwälzern, für die ich nie die Energie gehabt hätte.
Ich wollte und konnte mir in der Zeit der Therapien nicht mühselig Informationen zusammentragen, sondern hätte sie gerne in kleinen praktischen und lebensnahen Häppchen präsentiert bekommen. Gerade für die stillen Momente zu Hause, in denen ich nur „mit mir“ war.
Da ich Anfang 2016 entschieden fand, dass es so etwas noch nicht gab, habe ich selbst angefangen, einen solchen Begleiter zusammenzustellen. Ich begann damit, andere Erkrankte nach ihren persönlichen Seelen-Life-Hacks zu befragen. Sprach mit Expert:innen in Sachen Psycho-Onkologie, Kommunikation und Coaching, manche davon selbst Betroffene oder Angehörige von Betroffenen. Es war mir schnell klar, dass ich das Ganze krankheitschronologisch, also wirklich als Weg, präsentieren wollte.
Meine Vorstellung war auch da noch weiterhin, ein reines Sammelsurium mit praktischen Ideen zur Selbstfürsorge zusammenzustellen. Erst beim eigentlichen Schreiben wurde mir dann klar, dass die einzelnen Tipps einen Aufhänger gebrauchen konnten, à la, „o erging es mir in dieser Zeit und ich hatte diese Gedanken und fand das dabei hilfreich …“
Dazu kam, dass ich auch dann erst realisierte, dass natürlich auch die Einblicke in mein persönliches Erleben schon Orientierung und Halt geben konnten. Manchmal reicht ja schon ein „Ach, ich bin nicht allein damit.“, um sich besser zu fühlen. Und so entstand am Ende das Buch, das du jetzt in den Händen hältst: Eine ganz eigene Mischung aus Erlebnisbericht und Seelen-Rat-Anbieter!
Und weil du gefragt hast, wie lange ich dafür gebraucht habe: Geschrieben habe ich das Buch neben meiner Wiedereingliederung im Beruf, immer dann, wenn ich selbst gespürt habe, dass wieder ein Stück „geht“. Das dauerte gut drei Jahre. Vier, bis auch die Gesamtgestaltung fertig war.
Und die Foto-Bild-Collagen entstanden erst einmal schlichtweg deshalb, weil ich diese Art der Gestaltung schon immer sehr mochte. Und hier konnte auch ich dann immer mal wieder eine fotografische Beobachtung aus meinem Leben als Hintergrundbild mit ins Buch einbringen. Das Straßenschild „Fehlerstraße“ zum Beispiel, war eine Entdeckung aus meinen Streifzügen durch Berlin.
Annette: Dein Buch ist meiner Meinung nach eine Art „Psychoonkologin in Papierform“. Wie kann dein Buch erkrankten Frauen helfen?
Antje: Mein Buch „wirkt“ auf verschiedenen Ebenen. Zum einen über die Verbindung mit meinen eigenen Erlebnissen während der Behandlungszeit, also über das „Ach, das hat sie also auch so erlebt/gefühlt.“. Durch dieses „gemeinsame“ Erleben während des Lesens können schon ganz viele „komische“ Gedanken und Gefühle eingeordnet werden und verlieren dadurch etwas von ihrem Schrecken. Das ist so ein bisschen wie eine Selbsthilfegruppe zum Lesen.
Und auch hier gebe ich ja schon Einblicke „hinter“ das Erleben, also genau so, wie vielleicht eine Psycho-Onkologin im Gespräch bestimmte Hintergründe zum Beispiel zum besseren Verständnis von Angst und Panik erklären würde.
Und dann gibt es die Ebene der Übungen, die etwas mehr Aktivität verlangen, aber damit eben gleichzeitig auch Wege eröffnen, sich mit eigenen schwierigen Situationen aktiv auseinanderzusetzen und diese im besten Fall sogar etwas leichter zu machen.
Annette: Nach welchen Kriterien hast du diese Übungen ausgewählt? Hast du alle selbst erprobt?
Antje: Selbst ausprobiert habe ich alle Übungen, wenn auch nicht alle während meiner eigenen Akutbehandlung. Manche habe auch ich erst im Nachhinein entdeckt bzw. wurden sie mir während der Recherchen zum Buch vorgestellt. Die Übungen kommen bewusst aus verschiedenen Richtungen, es gibt Fragebögen und Anregungen zum Weiterdenken, die eher die kognitive Ebene ansprechen, dann gibt es auch kleine Seelenstreicheleinheiten fürs Herz und es gibt auch Übungen, in denen der Körper aktiviert wird. So wollte ich eine große Vielfalt an verschiedensten Ideen präsentieren, damit jede Frau möglichst etwas für sich findet.
Was alle Übungen vereint ist, dass ich immer darauf geachtet habe, dass sie schnell zu verstehen und auch mit wenig Zeit und Energie ausführbar sind. Wir wissen alle, wie schwer es schon in gesunden Zeiten sein kann, den inneren Schweinehund zu überwinden und in die Aktion zu kommen! Und ich selbst habe während meiner Behandlungen immer wieder festgestellt, dass auch ganz kleine Interventionen schon für andere, bessere Gedanken sorgen können.
Annette: Ich bin neugierig: Welches daraus ist deine Lieblingsübung?
Antje: Das ist immer eine von mir gefürchtete Frage, denn es gibt nicht die EINE Übung 😊. Tatsächlich wechseln meine Favoriten je nachdem, was bei mir selbst gerade im Vordergrund steht. Ich liebe die „Seelenstreichelschachtel“, denn das ist eine Art von Selbstfürsorge, die wir alle immer wieder gebrauchen können.
Und ich mache die Körperübung „Nasser Hund“ sehr gerne: Bei lästigen Gedanken im Kopf einfach hinstellen und einmal kräftig dein „Fell“ schütteln. Nicht nur hilft die Übung, aus dem Kopf wieder in den Körper zu kommen, sie bringt mich auch immer verlässlich zum Lachen!
Annette: Die Angehörigen sitzen bei einer Krebserkrankung mit im Boot. Kann auch ihnen dein Buch Hilfe bieten? Wenn ja, wie?
Antje: Sehr treffend formuliert, ja, alle sitzen in einem Boot und das Boot wird mächtig durchgeschüttelt während der Fahrt und droht immer wieder zu kentern! Hier gemeinsam das Steuer in der Hand zu behalten ist ein Kraftakt, für den auf beiden Seiten gerade während der Akutphase auch nicht immer ausreichend Ressourcen vorhanden sind.
Und hier kann mein Buch auch Angehörigen helfen, quasi ohne, dass die Betroffene sich erst einmal „öffnen“ muss. Denn meine eigenen Erlebnisberichte ermöglichen Angehörigen den Blick hinter die Fassade und können so zum Verständnis der möglichen Gedanken und Gefühle in dieser Zeit beitragen. Umgekehrt gehe ich auch an einigen Stellen auf die Außenperspektive der Angehörigen ein und damit wird auch die Betroffene angeregt, mal den Blick zu wechseln.
Und damit kann das Buch auch eine gute Gesprächsgrundlage bieten – „Fühlst du dich auch so?/Hast du das auch so erlebt?/Das ist ein schwieriges Thema, nicht nur für uns./Können wir uns jetzt schon dazu austauschen oder vielleicht auch noch nicht?“ etc.
Und auch die Übungen können Angehörigen guttun, indem sie helfen können, die eigenen Gedanken zu sortieren oder auch einfach anregen, sich selbst auch mal etwas Gutes zu tun.
Annette: Was würdest du neu Erkrankten Frauen gern mit auf den Weg geben?
Antje: Eine Betroffene auf Instagram hat einmal gepostet:
„Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben.“
Dieser Spruch hat mich so berührt, dass ich ihn bis heute in meinem Herzen trage. Für mich gibt es fast keine liebevollere Art daran zu erinnern, dass wir auf unserem Behandlungsweg nicht nur körperlich, sondern eben auch seelisch unglaubliche Anstrengungen erfahren, die Zeit und Wertschätzung brauchen. Mein Buch, um bei diesem Bild zu bleiben, soll genau ein solcher Rastplatz für die Seele sein.
Annette: Ich habe mir dein Buch selbst gekauft. Ich weiß, dass es ein wunderschönes Geschenk für eine neu erkrankte Person ist. Ich wünsche dir, dass nach dem Lesen dieses Interview ganz viele Leser*innen ein Exemplar bestellen.
Mehr Infos zu Antje findest du hier:
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Ein Podcastinterview mit Antje
Antje in einem Text zur Frage “Willst du dein altes Leben vor dem Krebs zurück?”
Hier geht’s zu den anderen Interviews von “Annette fragt.”