Annette fragt… Anna Farris
Ich wohne in der Nähe der Schweizer Grenze und finde den Klang von „ch“ und Worte wie „Maidli“, „Schoggi“ und nicht zuletzt die „Schnäddertante“ einfach genial. Deshalb war ich mehr als begeistert, als mir beim Speeddating auf der Influcancer 2024 Anna Farris gegenübersaß und im schönsten Schwiizerdütsch von sich erzählte. Ihre Geschichte war leider weniger schön. Krebs mit 30, nach Chemo und Co. als „Happy Cancer Survivor“ geheilt ins Leben zurück, dann der Schock: Lungenmaetastasen. Sie lebt nun seit zwei Jahren mit Lungenmetastasen, hat den Verein „Metabrustkrebs Schweiz“ gegründet und ist eine absolut bewundernswerte Frau, die sich vom Krebs die Lebensfreude nicht nehmen lässt.
Freut euch auf mein Interview mit Anna, das ich der Einfachheit halber auf Hochdeutsch veröffentliche. Denn der Kauderwelsch aus meinem schwäbisch und ihrem herrlichen “ch” wäre vielleicht für manchen/n Leser/in too much.
Annette: Liebe Anna, nimm uns zuallererst mal mit ins Jahr 2018, das Jahr deiner ersten Diagnose. Wie wurde dein Tumor entdeckt, welche Behandlungen hast du durchlaufen?
Anna: Liebe Annette, danke für das Interview. Meine Geschichte beginnt mit einem schwierigen Weg bis hin zu meiner Diagnose.
So hatte ich meinem Gynäkologen in der Jahreskontrolle im Jahr 2018 von einem Knoten erzählt, den ich selbst gespürt hatte. Auf dem Ultraschall war der Knoten gut ersichtlich. Mein Gynäkologe fragte mich mehrfach, ob ich Brustkrebs in der Familie hatte. Eine Frage, die ich verneinte. Deswegen wollte mein Gynäkologe abwarten und nach drei Monaten nochmals einen Ultraschall machen. Schließlich war ich erst 29, ohne erbliches Risiko.
Ich machte mir keine Sorgen. Denn damals wusste ich noch nicht, dass Eierstockkrebs und Brustkrebs miteinander verwandt sind….
Als ich bei einem Treffen mit meiner Mama erwähnte, dass ich in drei Monaten nochmals zum Frauenarzt müsse, wurde sie ganz bleich. Denn meine Tante, die vor ein paar Jahren an Eierstockkrebs erkrankte, hatte einen Gentest gemacht, und sie hatte die Geschwister und auch meinen Vater darüber informiert, dass sie die BRCA1 Genmutation hatte. Meine Mama hatte zuerst das Resultat meines Papas abwarten wollen, bevor sie mich und meiner Schwester informierte und allenfalls unnötig Angst machte.
Durch meinen Knotenfunde wurde das Ganze aber beschleunigt. Als mein Papa dann auch positiv auf die Genmutation getestet worden war, ging es schnell. Ich nahm mir aber bewusst noch zehn Tage Zeit, und verbrachte einen wunderschönen Urlaub mit meinen Eltern. Ich habe noch nie einen Urlaub so bewusst erlebt. Denn ich spürte schon damals, dass sich alles ändern würde…
Nach dem Urlaub dann die Bestätigung im MRI und bei der Biopsie: Ich hatte zwei Mammatumore, fast zwei Zentimeter groß, triple negativ. Es war für mich eigentlich auch kein großer Schock mehr, als der Arzt mir die Diagnose bestätigte. Ich war voller Tatendrang, den Krebs loszuwerden.
Mein damaliger Gynäkologe hat die Therapie heruntergespielt, er sprach lediglich von ein paar Monaten. Ich erhielt erst nach und nach mehr Informationen, und es wurde mir klar, dass ich mindestens ein Jahr in Behandlung sein werde.
Aber es ging mir gut, denn ich war getragen von der Unterstützung meines Umfeldes. Meine Mama und mein Papa sind damals in die Wohnung neben mir eingezogen und halfen mir durch die Chemo und bei der langen Erholungszeit nach der beidseitigen Mastektomie mit Diep-Flap. Ich hatte nach der Chemotherapie keine komplette Remission und ich war mir auch bewusst, dass ein triple-negativer Brustkrebs eine hohe Rezidivrate hatte.
Sideinfo: Der DIEP-Flap ist eine Lappenplastik, die meist zur sekundären Brustrekonstruktion nach einer Brustabnahme (Mastektomie) angewandt wird. Hier wird ausschließlich körpereigenes (autologes) Gewebe (Haut- und Unterbauchfett) zur Wiederherstellung der Brust/Brüste verwendet.
Annette: „Krebs mit 30 ist scheiße“. So startest du einen Post aus dem Jahr 2019. Und anders kann man es wahrscheinlich auch nicht sagen. „Heiraten, Kinder kriegen und Häuser bauen, … viele meiner Träume sind auf Eis gelegt.“ Da wird mir als Ehefrau, Dreifachmama und Eigenheimbesitzerin bewusst, welch Glück ich doch hatte, dass der Krebs erst später kam. (So seltsam das Wort „Glück“ im selben Satz wie das Wort „Krebs“ sich vielleicht auch anhören mag.)
Dennoch schreibst du, dass trotzallem “die fröhlichen Momente in der Überzahl“ sind. Wow, wow, Respekt. Sag: Was hat dir Kraft während deiner Therapiezeit Kraft und Halt gegeben?
Anna: Ich sah den Krebs als Projekt, als ein Kapitel meines Lebens. Ich war sehr motiviert, alles Mögliche zu tun, um danach wieder zurück in ein normales Leben zu kommen. Ich hatte eine unglaublich positive Einstellung. Wahrscheinlich sah ich das Ganze auch etwas naiv, mehr so wie ein Abenteuer.
Ich bin offen mit meinem Krebs umgegangen, und habe auf Social Media meine Geschichte geteilt. Meine Familie, mein Partner und Freund*innen haben mir sehr viel Kraft gegeben.
Ich liebe die Natur und habe die Spaziergänge mit meinem Hund bewusster erlebt und genossen. Ich war auf Reisen, machte Ausflüge und lebte viel bewusster.
Vor meiner Diagnose habe ich selten Zeit für mich gehabt. Ich habe mein Studium absolviert und schon während des Studiums immer Teilzeit gearbeitet. Nach dem Studium gab ich dann Vollgas im Berufsleben. Ich liebte meine Arbeit, und daher ging ich auch während meiner Behandlung weiterhin ein bis zwei Tage die Woche arbeiten. Diese Normalität zu behalten war wichtig für mich.
Aber hauptsächlich habe ich viel Kraft aus dem Gedanken gezogen, dass es nur eine Phase ist.
Annette: Deinen Post zu deinem 32. Geburtstag finde ich traurig-schön. Du sprichst darin davon, dass du unendlich froh bist, geheilt zu sein. Angesichts des weiteren Verlaufs deiner Geschichte bekam ich beim Lesen Gänsehaut, denn du benennst auch „die fiese Angst, dass der Krebs doch wiederkommt.“ Er kam in Form von mehreren Rezidiven und Lungenmetastasen wieder. Nimm uns mal mit, bitte…. Was ist passiert?
Anna: Die Zeit nach der Therapie war schwierig. Ich fühlte mich verloren und musste mich selbst wieder kennenlernen. Der Krebs hatte mich verändert. Ich stürzte mich in Projekte und kaufte eine Neubauwohnung mit meinem damaligen Partner.
Ich sprach immer öfter davon, dass ich mir ein Kind wünschte, obwohl alle Ärzt*innen davon abrieten und sagten, ich solle erstmal abwarten. Ich lebte so gesund wie nie zuvor, hatte schon fast eine krankhafte Phobie vor ungesundem Essen. Ich verzichtete auf Chips, Pommes, Alkohol, Zucker und Fleisch. Ich nahm in kurzer Zeit viel ab, gleichzeitig verlor ich mich selbst in der Angst.
Mein Ultraschall und das MRI in der Nachsorge waren unklar. Und als wir dann endlich im Januar 2020 eine Biopsie machten, zog mir das Resultat endgültig den Boden unter den Füßen weg: Ich hatte ein Rezidiv.
Dann kam die Pandemiezeit. In dem Jahr ging es mir psychisch immer schlechter, auch im Zusammenhang mit Covid, der Einsamkeit und meiner Fernbeziehung. Ich war mit all dem komplett überfordert.
Meinen Tiefpunkt mit der Psyche hatte ich im Herbst 2021. Da war ich frisch verheiratet, hatte endlich wieder eine eigene Wohnung, war wieder zurück auf der Arbeit etc.
Ich habe da realisiert, dass ich eigentlich glücklich sein müsste, aber es nicht war. Denn es war alles zu viel. Ich begab mich dann zwei Monate stationär in eine Klinik wegen meiner psychischen Gesundheit.
Annette: Wow, danke für deine Offenheit. Das wird vielen Betroffenen sehr helfen! Und zeigt wieder mal, dass das Leben nach Krebs alles andere als gut und easy und immer happy ist!
Du musstest sämtliche Lebensträume auf Eis legen. In einem sehr ergreifenden Podcast erzählst du davon, wie dich das irgendwann in eine tiefes psychisches Loch fallen ließ. Du begannst dich in eine virtuelle Welt zu flüchten. Erst „nur“ Gaming, dann entstanden aber daraus Freundschaften und irgendwann sogar eine Liebesgeschichte. Was gab oder gibt dir diese Onlinewelt?
Anna: Meine 13-jährige Beziehung litt sehr unter meiner Angst und zerbrach dann kurz nach meinem Rezidiv. Ich konnte mit der Angst nicht umgehen und mein Umfeld verstand nicht, wieso es mir nicht gut ging, obwohl ich doch nach den erneuten Therapien nun krebsfrei war.
Das Gaming war eine Ablenkung und ich die Onlinewelt gab mir ein Zuhause, in dem ich mich gebraucht fühlte. Ich spielte ein Game, in dem man als Team arbeiten musste, die eigene „Base“ verteidigen musste, die man vorher wochenlang aufgebaut hatte.
Aus Zufall landete ich auf einem Server mit Spieler*innen aus Nordamerika und wir kommunizierten über Discord, das ist eine App für Gamer mit Voice-chat. Stundenlang „arbeiteten“ wir zusammen an unserer Base, lachten und stritten auch manchmal in unserer Gruppe. Aber es schweißt unglaublich zusammen, wenn man zusammen kämpft, verliert oder siegt. Ich hatte das Gefühl, dass ich ich selbst sein konnte. Ich konnte meine Wut ausleben und Feinde attackieren. Auch konnten wir uns in der Gruppe wieder aufbauen, wenn wir mal verloren.
Bis tief in die Nacht war ich online und lernte die anderen Gamer*innen bald auch auf persönlicher Ebene kennen. „TwistofDeath“ war der Gamername meines heutigen Mannes. Auch er war mit der Realität überfordert: Er war Soldat und hat mehrere Jahre im Irak gedient, hatte sich verletzt und wurde aussortiert, bzw. ehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Dies hat uns verbunden, wir beide fühlten uns „anders“ als die normalen Menschen und hatten unseren Platz in der Gesellschaft verloren.
Als ich dann nach der OP meines Rezidivs ein paar Wochen warten musste, bis ich mit der Bestrahlung anfange konnte, buchte ich spontan einen Flug nach Kalifornien und das war der Anfang unserer Liebesgeschichte.
Annette: Dein Account bestand bis zu deiner Diagnose aus schönen Naturfotos. Noch immer besteht er aus schönen Fotos, aber mittlerweile stehen darunter sehr ernste Texte, in denen du sehr offen über deine Erkrankung redest. Wie kam es, dass du deine Diagnose öffentlich machtest? Wie waren die Reaktionen deines Umfeldes dazu?
Anna: Ich habe gemerkt, dass es für viele Menschen sehr schwierig ist, in einem persönlichen Gespräch über Krebs zu sprechen. Und ich wollte dem Krebs in meinen Beziehungen zu Freund*Innen und Familien auch nicht zu viel Platz geben. Es hat mir daher geholfen, auf meinem Social Media Account über meine Behandlung und meine Gefühle zu sprechen. Si konnte ich in den persönlichen Treffen weniger über Krebs sprechen, weil mein Gegenüber ja schon informiert war. Gleichzeitig hat es mir sehr geholfen, dass ich auf meinen Kanälen unendlich viel Liebe und Unterstützung erhalten habe. Auch heute noch: Ich freue mich über jeden Kommentar. Zum Beispiel auch wenn er von Bekannten kommt, die ich selten sehe.
Annette: Du schreibst in einem Post „Forever ist composed of nows. It´s time to celebrate the nows“.Das ist quasi eine feierliche Fortführung meines Tattoos „Alles ist jetzt“. und du bedankst dich dann bei deinem Ehemann für seine Liebe. Der ist für dich aus den USA in die Schweiz gezogen und ihr habt nach deiner Akuttherapie geheiratet.
Mittlerweile bist du in Dauertherapie, weil du Metastasen in der Lunge hast. Euer „Für immer“ ist also mitunter nicht jahrzehntelang, das ist ein trauriger Fakt. Wie schafft ihr es, euren Alltag dennoch gut zu leben? Welche Glücksinseln habt ihr?
Anna: Hm, um diese Frage zu beantworten, musste ich lange überlegen.
Im Jahr 2022 hatte ich zunächst ein Rezidiv 2022 mit dem Verdacht auf Lungenmetastasen. Diese wurden dann Mitte 2022 bestätigt.
Die erste Phase war sehr schwierig, denn ich konnte kaum Pläne für den nächsten Monat machen. Der Gedanke, dass ich dann vielleicht nicht mehr lebe, war omnipräsent und hat das „Jetzt“ vergiftet.
Heute gelingt mir das besser. Ich habe wieder Vertrauen. Seit fast einem Jahr erhalte ich eine Invalidenrente und kann damit immer noch zwölf Stunden in der Woche arbeiten. Dies gibt mir finanzielle Stabilität und Struktur im Alltag.
Mein Mann und ich mussten uns von dem Traum verabschieden, zusammen alt zu werden. Ich nenne dies das „Vortrauern“. Das ist schmerzhaft und es kommt in Wellen immer wieder hoch. Insbesondere dann, wenn meine Therapie wieder sehr intensiv ist.
Zugleich sind wir uns sehr bewusst, dass die Zeit, die wir zusammen haben, begrenzt und deshalb kostbar ist. Und trotzdem ist es in Ordnung, traurig zu sein, auch wenn ich noch da bin.
Ich spüre einen großen Druck, das Leben voll auszukosten. Einen Tag lang nichts zu tun, ist sehr schwierig. Dann kommt das Gefühl der Schuld und Angst, etwas zu verpassen, hoch. Emotionen, die ich kaum verarbeiten kann und die auch meinen Mann belasten.
Ich dachte lange, dass unsere Glückinseln unsere Urlaube sind, große Erlebnisse wie unsere Reisen nach Kalifornien und Kanada. Diese Urlaube waren wunderschön, ja. Aber ich habe mittlerweile auch gelernt, in den kleinen Momenten Glück zu empfinden. Gemeinsam in unserem Garten am Morgen Kaffee zu trinken, während unsere Hunde zufrieden schnüffeln oder sich im Gras wälzen. Ein Morgenspaziergang mit meiner Schwester und ihren beiden Kindern.
Ich habe übrigens auch ein Tattoo: Es zeigt eine Wasserschildkröte, die begleitet ist von Symbolen, die meine liebsten Menschen repräsentieren. Außerdem beschreibt mein Tattoo den Weg vom Wassertropfen bis in das große weite Meer, eine Symbolisierung von Leben und Tod, der ewige Kreislauf des Lebens mit der Schildkröte im Zentrum, ein Zeichen des langen Lebens und der Beharrlichkeit.
Eins ist klar: Es gibt sehr schwierige Tage und wieder sehr gute Tage. Und ich muss jeden so nehmen wie er kommt.
Annette: Seit 2023 hast du einen eigenen Blog. Der hat den wohl für sich selbst sprechenden Namen „Collecting Moments.“ Ich bin ja auch absoluter Fan des geschriebenen Wortes, das mir schon oft im Leben geholfen hat, mir über Dinge klarzuwerden, Dinge zu verarbeiten, Dinge anzustoßen. Ich hab das in meinem Text „Den Krebs in Worte fassen “ mal damit verglichen, dass ich meine Sorgen, Ängste, Nöte und Gedanken in Kisten verpacke. Du hast geschrieben, dass du deinen Blog startest “to put my thoughts around cancer in a box”, und dass es dir hilft, „to write down my thoughts before I end up spiraling.” aber auch „ to shift my focus away from cancer towards my wonderful life full of happiness and love.” Finde es megaspannend, dass wir Zwei da so ähnlich ticken.
Warst du dem Schreiben schon immer zugewandt oder wurde es durch, mit, wegen deiner Erkrankung zu deinem Ventil? Hast du einen Überblick darüber, wer deine Texte liest? Sind das eher Betroffene oder Angehörige?
Anna: Schön: Ich bin hier nicht die Einzige, was das Schreiben betrifft. Ich war immer überzeugt davon, dass ich nicht schreiben kann. Am Anfang habe ich nur kurze Texte geschrieben. Aber als ich dann merkte, wie gut es mir tat, wurde es zu einer Art Therapie. Meine ungenügende Note in Deutsch in der Schule ist mir heute herzlich egal, und was andere Menschen von meinen Texten denken, ist mir auch nicht so wichtig. Hauptsache es tut mir gut.
Im persönlichen Gespräch habe ich die Tendenz, alles schönzureden. In den Texten kann ich knallehrlich sein.
Ich habe auf den sozialen Netzwerken viele andere Betroffene gefunden und ich lese sehr gerne die Texte von anderen, denn es gibt mir das Gefühl nicht allein zu sein.
Annette: Als metastasierte Patientin in Dauertherapie beschäftigen dich andere Themen als derjenige, die sich gerade in der Chemotherapie befindet oder als diejenige, die gesund aus der Akuttherapie herausgegangen ist. Das macht es in einer Selbsthilfegruppe oftmals schwierig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung bei Jung und Krebst. Du hast den Verein “Brustkrebs metas Schweiz“ gegründet. So, so unfassbar toll!
Entstand das, weil du selbst keinen für dich passenden Anschluss gefunden hast? Oder woher kam die Motivation, dieses Projekt in Angriff zu nehmen?
Anna: Als erstes ist unser Verein eine Patientenorganisation. Wir wollen uns schweizweit in verschiedenen Ebenen für Betroffene einsetzen.
Was die Selbsthilfe angeht, ist es genauso wie du sagst. Die Themen von Frauen mit lokalem Brustkrebs sind anders. Diese Frauen haben das Bedürfnis, positiv zu sein, den Abschluss der Therapie zu feiern und die Angst vor einem Rückfall hinter sich zu lassen.
In einer Selbsthilfegruppe bespricht man auch oft Themen, die man im persönlichen Umfeld nicht anzusprechen mag. Das sind für uns Betroffene mit metastasiertem Brustkrebs manchmal schwere Themen wie Umgang mit Schmerzen, Invalidität oder Sterben. Genau diese Themen führen aber zu Angst bei Frauen in früheren Stadien von Brustkrebs. Deshalb haben wir nun unsere eigene Gruppe.
Es war am Anfang schwierig, weitere Betroffene zu finden.
Denn es gibt auch einige Betroffene, die dem Thema Krebs so wenig Platz im Leben geben wollen wie möglich. Und das verstehe ich vollkommen. Ich habe auch Tage, an denen alle meine Chats und Social Media Kanäle auf stumm sind.
Aber der Austausch ist sehr bereichernd. Wir können einander helfen. Wir haben auch viel gelacht! Wir hatten schon zwei virtuelle Zoom-Treffen und unsere Gruppe versteht sich super. Ich habe Feedback gehört wie: „Endlich eine Gruppe, in der ich mich nicht wie eine Außenseiterin fühle“.
Annette: Erzähl doch mal ein bisschen genauer: Wer leitet den Verein mit euch? In welcher Form trefft ihr euch? Wie viele Mitglieder habt ihr? Nutze diese Stelle hier auf meinem Blog gerne für Werbung. Euer Tun ist unfassbar wichtig und so, so wertvoll für andere metastasierte Personen in der Schweiz!
Anna: Daniela und ich haben uns in einer Panel Diskussion kennengelernt, und es hat von Anfang an „gefunkt“. So haben wir den Verein gemeinsam gegründet. Wir ergänzen uns perfekt. Nicht zuletzt, weil ihre Geschichte komplett anders ist als meine. Auch unsere Therapie sind sehr verschieden.
Wir haben in der ersten Woche, indem wir das Anmeldeformular publiziert haben, tatsächlich schon zehn Anmeldungen erhalten.
Wir sind noch im Aufbau unserer Patientenorganisation. Es gibt bisher noch keine Organisation in der Schweiz, die sich explizit um die Bedürfnisse von Betroffenen mit Metastasen kümmert.
Es ist uns wichtig, an dem Stigma zu arbeiten, dass man mit der Diagnose Metastasen sofort stirbt. Dank enormer Fortschritte in der Forschung gibt es mittlerweile viele Betroffene, die viele Jahre und viele gute(!) Jahre mit metastasiertem Brustkrebs leben. Es gibt leider noch keine Heilung, aber ich möchte den Begriff „lebensverkürzende Krankheit“ einführen und den Fokus auf das Leben setzen.
Gerade in der Schweiz ist Krankheit ein Tabu. Niemand spricht über chronische Krankheiten und viele Betroffene verheimlichen die Diagnose und trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Aber das Austauschen hilft, sei es im Umgang mit Nebenwirkungen, bei der Abklärung einer allfälligen Invaliditätsrente, Probleme im sozialen Umfeld oder auch einfach bei alltäglichen Fragen.
Wir möchten auch den Austausch fördern mit medizinischen Fachpersonen, und sind soeben in der Gründung eines Beirats begriffen. Das sind Fachärzt*innne und Pflegekräfte, die unsere Organisation unterstützen werden.
Wir haben noch so viele Ideen! Deshalb: Wenn jemand dieses Interview liest und mitmachen will: Auf www.metastasierterbrustkrebs.ch umschauen und melden oder uns auf Instagram folgen!
Sideinfo: Mittlerweile gab es schon das erste gemeinsame Event der Gruppe, ein Blumenworkshop und auch einen weiteren Community Call. Es ist wirklich wundervoll, was Anna und Daniela da auf die Beine gestellt haben. Bravo!
Annette: Unter einem Sonnenuntergang hast du neulich über das Abschiednehmen geschrieben, das dir als aktivem Mitglied einer Community von Frauen mit metastasiertem Brustkrebs leider oft begegnet. Hast du Tools, um das Thema für dich „gut“ handzuhaben? Also Anteil zu nehmen, aber nicht jeden Todesfall in Verbindung mit dir zu bringen? Also dich hineinfallen zu lassen, aber nicht in der Trauer zu versinken?
Anna: Damals hatte ich mit einer sehr jungen Frau zu tun. Sie ist leider innerhalb kürzester Zeit am Krebs gestorben. Das hat mich sehr getroffen. Zwei Wochen vor ihrem Tod haben wir noch telefoniert und sie hat mir von ihrem Freund erzählt und ihren Plänen und dann hat der Krebs sie so schnell aus dem Leben gerissen.
Krebs kann so unfair sein, und selbst als Betroffene fällt es mir schwer, hier tröstende Worte zu finden.
Ich versuche jedes Mal, eine Abschiedszeremonie zu machen. Bur für mich, z.B. einen Blumenstrauß zu pflücken in einer Farbe, die zur Persönlichkeit der Verstorbenen passt.
Ich habe mich in letzter Zeit auch viel mit dem Thema Tod auseinandergesetzt und ich bin überzeugt davon, dass der Tod nicht das absolute Ende bedeutet, sondern eher eine Transformation. Diese Überzeugung hilft mir, Trost zu finden.
Was bleibt, ist die Angst, dass ich die Nächste bin. Hier fällt es mir sehr schwer, mich abzugrenzen. Ich versuche aber der Dankbarkeit, dass ich noch da bin, mehr Platz zu geben als dieser Angst.
Annette: Liebe Anna, in deinem aktuellen Post erzählst du von einem Überholvorgang in einer unübersichtlichen Stelle, der dich sehr wütend gemacht hat. Du hast völlig recht, wenn du davon erzählst, wie sauer dich das gemacht hat, weil du aktuell wieder in einer heftigen Therapie bist, weil ein Progress in deiner Lunge festgestellt wurde und du so hart um dein Leben kämpfen musst, während „other people just recklessly risk their own and other people’s lives because they are in a hurry.“
Du beendest deinen Erzählung mit einem Satz, den ich, wäre dies hier ein Live-Interview laut ins Mikrofon schreien würde. Denn ein besseres Schlusswort für unser Interview könnte es nicht geben.
“Life is valuable; don’t take it for granted!”
Liebe Anna, ich danke dir für deine Offenheit und wünsche dir alles, alles Glück der Welt. Mögen dir noch unendlich viele wunderschöne Nows beschert sein und dich weiterhin zum Strahlen bringen so wie auf den Fotos von dir, die ich hier zeigen darf!
Mehr über Anna findest du hier:
Annas Instagramprofil
Verein Metabrustkrebs Schweiz
Annas Blog Collecting Moments
Anna im Podcast ”Leben mit Krebs“
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