Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Annette fragt… Anjuna Roscher

Ach, wie klein ist doch unsere große Welt: Meine heutige Interviewpartnerin kommt aus Tübingen und war auf derselben Schule wie ich. Das erfuhren wir allerdings erst, als wir  in der Instagramwelt aufeinanderstießen. Wir waren uns – vielleicht wegen desselben Dialekts – auf Anhieb sympathisch und so war schnell klar, dass Anjuna sich meinem Interviewfragenhagel stellen würde.

Freut euch auf ein sehr sehr offenes und höchst informatives Interview mit Anjuna, die als Mutter eines 3-jährigen Kindes mit Mitte 30 eine Eierstockkrebsdiagnose erhielt. Neben ehrlichen Einblicken in ihr Privatleben und ihre Seele hat sie viele Tipps aus ihrer Berufserfahrung als Physiotherapeutin und Psychoonkologin dabei. Nicht zuletzt verrät sie euch, was ein rotes Köfferchen und Bonbons mit ihrem Krebs zu tun haben und welches Zitat ihr liebstes ist. Seid gewiss: Es looooohnt sich, das wunderschönlange Interview mit der wunderschönen Frau mit dem wunderschönen Namen Anjuna bis gaaaaaanz unten zu lesen!

 

Annette: Liebe Anjuna, schön, dass du Gast in meiner Interviewreihe „Annette fragt“ bist. Lass uns zunächst gemeinsam in den Februar 2020 gehen. Damals stand die Erde wegen Corona sowieso schon still. Doch in deiner eigenen Welt wurde es noch viel stiller. Mit Mitte 30 bekamst du die Diagnose Eierstockkrebs. Uff! Wie wurde das festgestellt? Welche Therapien hast du durchlaufen?

Anjuna: Vielen Dank, liebe Annette, dass ich Teil deiner Reihe sein darf! Bei einer ganz normalen Vorsorgeuntersuchung beim Gynäkologen wurde bei mir Anfang 2020 eine relativ große Zyste am Eierstock entdeckt und bald darauf in einer harmlosen, kleineren OP entfernt.

Der Schock kam dann eine Woche später. Im Labor wurden Krebszellen gefunden und dann ging es ganz schnell: ich wurde in Tübingen operiert. Beide Eierstöcke, die Gebärmutter und viele Lymphknoten entfernt. Insgesamt war ich 14 Tage stationär und habe eine 40cm lange Narbe davon getragen.

Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ist an dem Tag das Besuchsverbot wegen Corona eingeführt worden. Insofern hatte ich noch Glück im Unglück. Selbst das Abholen (und Koffer raustragen) durfte nur noch ausnahmsweise und als letzte Amtshandlung geschehen.

Anschließend folgten 6 Zyklen Chemotherapie und dann hatte ich es offiziell geschafft.

Eierstockkrebs ist sehr schwer zu diagnostizieren, weil es keine Früherkennung gibt. Dass es bei mir beim Frühstadium geblieben ist, grenzt an ein kleines Wunder. Die Zyste hat vermutlich mein Leben gerettet.

Annette: Oh ja, das hat sie definitiv! Auch bei mir entpuppte sich eine Auffälligkeit, die mein Gynäkologe im Ultraschall erst als Zyste betitelte, bei der Biopsie als Tumor. Insofern teilen wir dieses Zysten-Glück.

……

Wir beide erlebten unsere Krebserkrankung inmitten der Pandemie. Da war nicht viel los mit „Ich gönn mir eine schöne Tasse Tee im Café oder „Ich belohne mich mit einer Shoppingtour“. In einem Blogtext beschrieb ich welche „Inseln im Corona-Krebs-Wahnsinn“ ich fand. Du hast eine Liste mit Selfcare- Tipps erstellt, die sich auch mit wenig Accesoires und Aufwand im eingeschränkten Lockdownalltag und jede normalen Alltagstag einbauen lassen. Magst du deine Tipps hier teilen? Ich bin mir sicher, die sind für etliche Leser*innen Goldwert.

Anjuna: Sehr gerne! Oft vergisst man in solchen Ausnahmesituationen und wenn es einem nicht gut geht, erstmal seine Grundbedürfnisse abzuklopfen: Hab´ ich genug getrunken? Habe ich Hunger? Bin ich vielleicht erschöpft und ein bisschen Schlaf würde helfen?

Ich hab+ mir eine Liste geschrieben und in solchen Momenten immer erstmal die Haken hier gesetzt. Ganz oft ging es mir schon besser, als ich da was verändert habe. Wenn alles nicht hilft, ist heulen auch immer mal ok.

Meine Liste teile ich hier sehr gerne, damit alle Leser*innen etwas davon haben.

  • Habe ich genug getrunken?
  • Habe ich genug gegessen?`
  • Geduscht?
  • Habe ich mich bewegt?
  • Habe ich mir etwas gegönnt?
  • Brauche ich eine Umarmung?
  • War ich in der Natur?
  • Hilft Musik?
  • Habe ich die richtige Kleidung an?
  • Bin ich müde?
  • Hilft Musik oder ein Podcast?
  • Hilft vielleicht ein Telefonat?
  • Oder ein Stück Schokolade?

Annette: Mein jüngstes Kind war zum Zeitpunkt meiner Diagnose 2 Jahre alt, die Großen in der 3. und 5. Klasse. Ich habe viel zum Thema „Krebs und Kinder“ im Internet gelesen, (Bilder-)Bücher gekauft und selbst zwei Texte zum Thema geschrieben. Dein Sohn war zum Zeitpunkt deiner Diagnose 3 Jahre alt und zwangsläufig hast auch du dich mit dem Thema beschäftigen müssen… In einem Text von dir las ich vom „Mama-Koffer“, einem kleinen roten Köfferchen. Lass die Leser*innen deines Interviews bitte an dieser wundervollen Idee teilhaben.

Anjuna: Genau, mein Sohn war damals 3 Jahre alt. Ich hab, wie du, viel gelesen. In dem Zuge kann ich übrigens die Webseite des Vereins Flüsterpost e.V. empfehlen. Die richten sich speziell an Kinder von betroffenen Eltern mit Erklärvideos, Buchtipps und mehr.

Dort bin ich auch auf das Buch “Ein Koffer voller Mama Momente” von Anja Freudiger gestoßen. In dem muss die Mama auch lang ins Krankenhaus. So habe ich meinen Sohn auf die Zeit ohne mich vorbereitet. Dazu gehörte dann eben auch das echte kleine, rote Köfferchen. In das hab’  ich ein T-Shirt von mir, Fotos, ein Kuscheltier und einen selbstbesprochenen Tonie gepackt. Und am wichtigsten für ihn: eine Packung Bonbons. Immer wenn er mich arg vermisste, durfte er sich eins rausnehmen.

So kam´s, dass ich noch nicht mal aus der Tür war und er schon rief: „Ist sie jetzt weg? Ich will ein Bonbon!”. Das war toll, weil wir gelacht haben und der schwere Weg zur OP ein bisschen leichter für alle wurde.

Annette: Haha, da musste ich jetzt auch schmunzeln. Es ist doch immer wider toll, wie Kinder ernsten Situation ganz charmant etwas von ihrer Schwere nehmen, oder?

Für den Verein Flüsterpost e.V. spreche auch ich eine absolute Herzensempfehlung aus. Mit Anita Zimmermann, der Leiterin, war ich schon mehrmals intensiv im Austausch. Sie hat mich beim Schreiben meines Textes “Warum trägst du im Haus eine Mütze?” beraten, um fundierte und dennoch kindgerecht formuliere Antworten auf Kinderfragen zum Thema “Krebs” zu geben. An dieser Stelle auch eine Leseempfehlung für diesen Blogtext von mir.

…………

Annette: Auch bei dir crashte der Krebs voll hinein ins Leben, lag jenseits deiner Vorstellungskraft. In rasender Geschwindigkeit ging es von Totaloperation über Intensivstation und Krankenhaus hin zu Chemotherapie. Ende 2020 dann warst du in Reha.

Und anders als gedacht war damit aber längst nicht „Alles gut“. Du fielst in ein Loch und fühltest dich wie „ausgespuckt“. So ging es mir auch, so geht es ganz vielen Betroffenen. Was hat dir damals geholfen, wieder Mut zu fassen und Freude zu empfinden und schlussendlich sogar wieder Vertrauen ins Leben zu finden?

Anjuna: Zunächst einmal war ich total überrascht, dass dieses Loch überhaupt kam. Ich hatte das Gefühl, dass vorher gar nie mit mir darüber gesprochen wurde. Es ging immer nur um das Erreichen des Endes der Akuttherapie. Das war bei mir die letzte Chemogabe.

Das man danach – nachträglich betrachtet natürlich (!) – nicht sofort gesund und quietschfidel wieder ins alte Leben einsteigt, kam damals total unerwartet für mich.

Mein Körper war komplett entkräftet, umgebaut, erschöpft und auch hormonell aus dem Gleichgewicht.

Aber vorallem psychisch durfte ich lernen, dass die Akutphase nicht gleichzeitig die Heilungsphase sein kann. Wenn man im Überlebensmodus unterwegs ist, stellt sich die Seele erstmal hinten an. Erst wenn man da einigermaßen raus ist, kann das Verarbeiten beginnen.

Und da hab´ ich mich ziemlich allein gelassen gefühlt. Weil die Ärzt*innne ja “fertig” mit mir waren.

Daraus ist dann meine Mission entstanden: Menschen mit Krebserfahrung zu helfen, wieder in ihre Kraft zu kommen. Körperlich und mental. Heute mach´ ich das hauptberuflich in meiner eigenen Praxis.

Ganz oft steht man ja in ganz vielen Lebensbereichen während und nach Krebs vor der Herausforderung, sich neu priorisieren und aufstellen zu müssen. Partnerschaft, Beruf, Freundschaften, Hobbies.. so vieles kann betroffen sein. Und da kann es helfen, eine Person an seiner Seite zu haben, der man das Thema ungeschönt zumuten kann und einen Ort zu haben, wo man mit all seinen Gefühlen und Problemen verstanden wird und an dem einem Wege da raus aufgezeigt werden.

Annette: Das erste Bild von dir auf deinem Instagramaccount ist megaschön. Eine wunderschöne Frau mit Glatze in Gold und Glitzer. Es ist unschwer zu erkennen, dass dieses Foto bei einem professionellen Fotoshooting entstanden ist. Erzähl mir mehr: Wie kam es dazu? Wie lief das ab?

Anjuna: Vielen Dank! Ich liebe es auch sehr. Es ist mein Kraftbild, weil es während der Chemotherapie entstanden ist und so viel Stärke in so einer Zeit zeigt und Schönheit eben abseits der Norm.

Aufgenommen wurde es in München bei dem Verein “Nana – recover your smile”. Zu dem kam ich tatsächlich, weil mich eine Mitpatientin während der Reha angesprochen hat (ich hatte als eine der wenigen dort keine Haare), und mir von ihrem eigenen Shooting erzählt hat. Das wollte ich unbedingt auch machen.

Es ist ein ganz tolles Erlebnis gewesen! Weil man einerseits toll gestylt wird und wunderschöne, professionelle Fotos gemacht werden, aber auch weil die Gemeinschaft vor Ort und dieses Erlebnis selbst für mich richtig stärkend in meiner Krisenzeit sein kann.

Eulenspiegel Unknown
Anjuna bei "Recover your Smile"

Annette: Wir sind beide bei den Kurvenkratzern als Krebsbloggerinnen aktiv. Außerdem bist du schon einige Male in Podcasts zu Gast gewesen und sprichst über deine Erfahrungen mit Krebs. Du sagst, dass du andere an deiner Erkrankung teilhaben lässt, um ihnen Mut zu machen. Das ist ein schöner Gedanke! An dieser Stelle klopfe dir zunächst mal bewundernswert auf die Schulter. Es ist so, so wichtig, was du tust. Danke, einfach danke.

Wie bist du denn Teil des Podcasts „Krebsverständlich“ geworden?

Anjuna: Das Kompliment gebe ich gern direkt zurück. Um es mit den Worten von den Kurvenkratzern zu sagen: “Egal, wie du über Krebs sprichst, Hauptsache du tust es!”. Krebs sollte kein Tabu sein, wir können nichts dafür und es hat kein Stigma verdient. Deswegen und damit sich keiner alleine mit seiner Geschichte fühlt, spreche ich darüber.

Zu “KrebsVerständlich” bin ich über meinen Beruf gekommen. Ich bin ja unter anderem Physiotherapeutin und habe darüber Dr. Bettina Alber kennengelernt, die Hämato-Onkologin ist. Im Gespräch haben wir festgestellt, dass wir die gleiche Vision haben: Es Menschen mit Krebs leichter zu machen.

Sie hat mich dann gefragt, ob ich nicht Lust habe, als Expertin bei ihrem Podcast mitzumachen, was ich natürlich super gern gemacht hab.

Annette: Ich befinde mich in der Anti-Hormontherapie und bin somit in den künstlichen Wechseljahren. Dir wurde/n mit Mitte 30 die Gebärmutter entnommen und die Eierstöcke entfernt. Somit teilen wir wohl das Leid der Wechseljahrbeschwerden. Was sind deine Top 5 gegen Hitzewallungen, Gelenkschmerzen und trockene Haut?

Anjuna: Oh ja – Wechseljahre! Noch so ein Thema, über das keiner spricht. Gerade wenn der Körper nicht natürlich, sondern künstlich, in die Wechseljahre gerutscht (oder katapultiert) wurde, ist es doch eine superheftige Umstellung für den Körper.

Eine Umstellung, die für jede Frau ein bisschen anders aussieht. Wechseljahre sind manchmal auch: eisiges Frieren, Schwindel, Depressivität, Herzrasen, Gelenkschmerzen, trockene Schleimhäute usw…

Ich wünschte, mehr Frauen wüssten, dass das, neben vielem anderen, auch dazu gehören kann. Zudem wünschte ich, dass mehr Frauen wüssten, was man eben auch selbst machen kann. Konservativ oder, wenn erlaubt und gewünscht, auch als Hormonersatztherapie.

Meine liebsten konservativen Tipps teile ich supergerne:

Bei Hitzewallungen:
Salbeitee (tägl. 1 Tasse)
Thermalwasserspray (zB. Avène)
keine zu scharfen Mahlzeiten
Bewegung an der frischen Luft

Bei Gelenkschmerzen:
sanfte Bewegung (z.B. Yoga)
Vitamin D + Calcium
Papayaenzym (Papain) & Ananasenzym (Bromelain) (zB. Equinovo)
ggf. Hyaluronkapseln (Gelenkschmiere)

Trockene Haut:
VON INNEN:
Ernährung: viel „basisch“ und pflanzlich
viel Wasser trinken
VON AUSSEN:
Augentropfen mit Hyaluron (zB. Bepanthen)
Nasenpflege (z.B. Sesamöl)
Nagelöl (gibt´s in Drogeriemärkten, z.B. dm oder Müller)
Mandelöl (Hautpflege und Badezusatz)
Im Intimbereich ggf. Östrogencreme (Ärzt*in fragen) und
Gleitgel auf Silikonbasis (z.B. Plur Med)

Für die psychischen Beschwerden ist Bewegung in der Natur super. Außerdem können Meditation oder andere Entspannungsübungen helfen.

Und dann erkundigt euch, ob eine Hormonersatztherapie wirklich unter keinen Umständen in Frage kommt. Das kann absolut sein, zB bei Antihormontherapien. Aber informiert euch und seid auf dem neusten Stand der Forschung. Erst dann könnt ihr aufgeklärt selbstständig das Für und Wider abwägen und zusammen mit eurem Arzt eine Entscheidung treffen.

Annette: Wow – tausend Dank dir für die Bandbreite an Tipps. Ich finde es sehr ermutigend, dass du hier so ehrlich alle Beschwerden aufzählst, die einen treffen können. Das macht die ganze Situation gleich erträglicher, weil man bzw. weil ich mich damit nicht alleine fühle. Danke dir! 

…..

Die Akuttherapie ist vorbei. Die Wiedereingliederung geschafft. Der Alltag hat einen wieder. Im Optimalfall läuft das Ganze so ab. Wir beide hatten das Glück, dass es so gekommen ist. Dennoch begleitet dich und mich und wohl alle ehemaligen Krebspatient*innen die Rezidivangst sowie das Gedankenkarussel vor Nachsorgeuntersuchungen. Auf deinem Account fand ich 4 SOS-Tipps gegen Angst. Es wäre ganz wundervoll, wenn du diese hier teilen würdest.

Anjuna: Rezidivangst ist sicher die allerhäufigste psychische Begleiterscheinung nach einer Krebserkrankung. Ziel für mich persönlich und auch bei meiner psychoonkologischen Arbeit ist es nicht unbedingt, dass die Angst ganz verschwindet.

Denn Angst ist eine normale Reaktion des Körpers. In unserem Fall hat der Körper eine reale Bedrohung erlebt und versucht uns mit seinem Alarmsystem eigentlich nur zu schützen.

Wichtig ist nur, dass die Angst nicht so übermächtig wird, dass sie uns lähmt oder unerträglich wird. Dann ist sie behandlungsbedürftig, am besten mit professioneller Hilfe.

Für den Fall, dass die Rezidivangst, wie du schon schreibst, eher ein Gedankenkarusell vor einer Nachuntersuchung oder mal nachts ist, gibt es tolle Tipps und Übungen, die man einfach selber anwenden und damit die Angst in den Griff bekommen kann. Vier Tipps hab’  ich hier hier gleich für dich. Probiere sie doch beim nächsten Angstschub direkt mal aus!

  1. Atme tief ein und aus. Über die Atmung regulierst du dein Nervensystem.
  2. Best-Worst-Szenario statt Worst-Case-Szenario vorstellen.
  3. Geführte Meditationen oder EFT (Emotional Freedom Techniques – eine Klopftechnik) können helfen.
  4. Bewegung an der frischen Luft schüttet Endorphine aus. Also raus mit dir!

Wer noch ein bisschen tiefer in das Thema, und wie man sich selbst helfen kann, einsteigen möchte, kann sich gerne bei mir melden.

Annette: Ich bin in der Selbsthilfe für Jung und Krebs e.V. aktiv. Du engagierst dich im Rahmen der Tandem-Beratung bei den „Junge Erwachsenen mit Krebs“. Das ist eine tolle Sache, die sicherlich nicht allen bekannt ist. Hau raus: Was genau ist das für ein Projekt, was machst du und wie kann man als Betroffene/r dort mitmachen?

Anjuna: Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs unterstützt und begleitet junge Betroffene (18 bis 39 Jahre) in allen Phasen der Erkrankung. Informationen, Beratungsangeboten und Möglichkeiten zum Austausch werden bei und von der Stiftung für junge Erwachsene leicht zugänglich gemacht, um sie mit ihren Fragen nicht alleine zu lassen.

Unter anderem gibt es in ganz vielen Städten sogenannte “Treffpunkte”. Über den “Treffpunkt Stuttgart” bin ich in Kontakt mit der Stiftung gekommen. Das ist eine sehr nette Gruppe von Gleichgesinnten, die sich regelmäßig zum Austausch, Essen gehen oder Bowling oder anderen Aktionen treffen.

Im “Jungen Krebsportal” der Stiftung gibt es Tandem-Partnerschaften zu verschiedenen Themen und Diagnosen.

Den Punkt “Eierstockkrebs” gab es noch nicht. Mir war es wichtig, dass junge Frauen mit Eierstockkrebs eine Anlaufstelle bekommen und so habe ich den Bereich mit zwei anderen Betroffenen übernommen. Denn Eierstockkrebs im jungen Alter ist eine sehr seltene Erkrankung. Umso wichtiger, dass man sich mit seinen Fragen und Sorgen an jemanden wenden kann und sich nicht so alleine fühlt.

Wer eine/n Tandempartner/in sucht, kann das auch ganz einfach über das  Portal machen.

Annette: Danke für diesen Tipp. Das hilft sicherlich ganz vielen (sehr) jungen Menschen, die sich mit ihrer Erkrankung überfordert und im schlimmsten Fall auch alleine fühlen.

…..

Du hattest durch eine Autoimmunerkrankung (Alopecia) schon vor deiner Erkrankung mit Haarverlust zu tun. Bei der Chemotherapie verlorst du dann alle Haare und bist bis heute haarlos. Sicherlich war das sehr hart für dich und Sprüche wie „Wahre Schönheit kommt von innen“ waren ein Schlag ins Gesicht. Wie kommst du mittlerweile damit klar und was hat es mit der Bezeichnung „Dekohaare“ auf sich, von denen du in einem Post schreibst?

Anjuna: Mit dem Thema Haarverlust hab’  ich das erste Mal mit 15 durch die Autoimmunerkrankung zu tun gehabt. Damals aber nur mit kleinen, gut versteckbaren Stellen. Ich hab mich aber dadurch eben schon sehr früh mit dem Gedanken befassen müssen, wie es wäre, mal keine Haare mehr zu haben.

Als es dann – anders als gedacht – wirklich so kam, war es natürlich trotzdem ein Schock. Während alle Mitpatienten*innen sich irgendwann wieder über die ersten Babyhärchen freuen durften, blieben sie bei mir leider einfach aus.

Auch wenn es auch heute noch manchmal Momente gibt, in denen ich meinen Haaren nachtrauere, habe ich inzwischen einen guten Weg für mich gefunden, damit umzugehen.

Das hat ganz  viel mit Selbstliebe, Akzeptanz und Selbstannahme zu tun. Und mit Kreativität. Also Schönheit abseits des gängigen Schönheitsideals zu sehen und sich selbst lieben zu lernen. So wie ich heute nun einmal aussehe.

Außerdem experimentiere ich total gerne mit Tüchern, Turbanen oder den Haarbändern von “Weil du schön bist” (unbezahlte Werbung;)).

Das Wort “Deko-Haare” hat mein Sohn erfunden. So hat er meine Haarbänder und Perücken getauft. Ich find das eine wunderschöne Beschreibung, weil genau das ist es für mich: Dekoration. Manchmal will ich dekoriert sein, manchmal nicht. Ich liebe die Leichtigkeit, die in dem Wort liegt.

Annette: Du bist seit 2024 Psychoonkologin. Wow. Du hast dich also nach deiner eigenen Erkrankung dafür entschieden, ganz nah am Thema dran zu bleiben und andere Betroffenen auf ihrem Weg mit oder nach der Erkrankung zu begleiten. Wie kam es zu diesem Entschluss und wie lief deine Ausbildung ab?

Anjuna: Als Physiotherapeutin hab ich mich ja schon immer mit Krankheit und Gesundheit beschäftigt. Das ist also gar nicht so anders. Die Ausbildung zu Psychoonkologin hab ich aus zwei Gründen zusätzlich noch gemacht:

Erstens habe ich schon immer das Gefühl gehabt, dass es bei einem Heilungsprozess selten ausschließlich um den Körper geht, sondern dass beides zusammenhängt und die effektivste Behandlung ganzheitlich ablaufen sollte.

Zweitens habe ich diese Ganzheitlichkeit in der Krebsnachsorge komplett vermisst. Und so entstand der Wunsch, diese Lücke zu schließen.

In der Praxis arbeite ich jetzt mit einer Mischung aus Körpertherapie und psychoonkologischer Begleitung.

Krebs hat mein Leben sehr verändert und es fühlt sich für mich richtig an, Betroffene durch meine Erfahrung zu unterstützen.

Die Ausbildung selbst hab´ ich in Köln gemacht, weil es da einen Kurs für auch nicht-akademisches medizinisches Fachpersonal gab, der von der DKG anerkannt wurde. Ich war die erste Physiotherapeutin dort und die einzige Selbstbetroffene. Der Rest waren hauptsächlich Ärzt*innen und Psycholog*innen.

Trotzdem war es eine sehr spannende, lehrreiche Ausbildung. Außer jeder Menge medizinischer Daten und Fakten zu Krebs und Krebsforschung haben wir viel über die psychischen Folgen der Erkrankung gelernt und was man eben machen kann, um damit umzugehen und zu verarbeiten.

Annette: Vielleicht sind einige Leserinnen noch auf der Suche nach Wegbegleitung. Bleiben wir zunächst mal bei den ganz konkreten Fakten: Wo praktiziert du? Wie läuft ein Erstgespräch ab? Gibt es auch Onlineberatungen? Wie läuft die Kostenübernahme?

Anjuna: Meine Praxis ist in Stuttgart. Das kostenlose Erstgespräch findet meist online statt und da klären wir auch zunächst ab, was die Ziele und Wünsche des/der Betroffenen sind. Das ist immer ganz individuell.

Wenn das geklärt ist und wir uns für einen gemeinsamen Weg entscheiden, mache ich eine ausführliche Anamnese und erstelle einen Behandlungsplan und dann arbeiten wir gemeinsam an Lösungen für die Themen.

Ja, Onlineberatungen gibt es auch. Viele, die von weiter her kommen nutzen das gerne. Physiotherapeutisch ist dann natürlich nicht alles möglich, aber psychoonkologische Gespräche oder auch Eigenübungen gehen problemlos. Manche/r Onlineklient*in holt sich dann noch Tipps für die Physio-Behandlung bei der/dem heimischen Therapeut*in, der vielleicht nicht auf Onkologie spezialisiert ist. Das geht auch super in Kombination.

Die Behandlungen bei mir sind Privatleistungen. Das heißt, mit Privatrezept sind sie abrechenbar, ansonsten Selbstzahlerleistungen.

Die gesetzlichen Kassen haben Ganzheitlichkeit leider noch nicht im Programm. Ich hoffe, das ändert sich irgendwann.

Ein Tipp für diejenigen, die das gern in Anspruch nehmen möchten, aber es sich nicht leisten können: Viele Angehörige sind dankbar über konkrete Tips, wie sie helfen können. Ein Gutschein für ein Behandlungspaket wurde bei mir schon oft verschenkt.

Annette: Ein toller Tipp. Danke dafür… Nach den Orga-Fakten möchte  ich noch etwas tiefer gehen. Auf deiner Homepage sprichst du von „ganzheitlicher Physiotherapie und Begleitung“. Was kann ich mir darunter vorstellen? Wie läuft eine Behandlung bzw. Sitzung bei dir ab?

Anjuna: Die Ganzheitlichkeit habe ich oben ja schon ein bisschen erklärt. Es geht also darum, den Mensch als Ganzes zu sehen und mit allen Aspekten zu begleiten und zu behandeln. Körper, Geist und Seele gehören alle mit rein.

Die Behandlung sieht dann genauso individuell aus wie der Mensch, der vor mir sitzt.

Beispielsweise können bei einer Person die Themen ein Lymphödem am Arm und Rezidivangst sein. Jemand anderes hat körperlich vielleicht keine Beschwerden mehr, aber hängt in dem Post-Akut-Loch fest. Der Dritte hatte vielleicht eine große Bauch-OP und wünscht sich angepasste Übungen und Tipps im Umgang nach Darmkrebs.

Je nachdem liegt dann der Fokus auch unterschiedlich. Mal mehr Gespräche und Tools und Werkzeuge erlernen, wie man mental in seine Kraft zurück kommt, mal liegt der Fokus eher auf Körpertherapie.

Annette: Hätten wir nicht so ein wunderschönes Haus gebaut und würde ich mich hier im Schwarzwald nicht so wohl fühlen, so hätte ich sicherlich schon mal eine Behandlung in deiner Praxis gebucht, liebe Anjuna … Aber vielleicht melde ich mich tatsächlich mal online bei dir, auch wenn ich eigentlich schon eine Psychotherapeutin habe.

Falls du, liebe Leserin oder lieber Leser, im Schwäbischen zu Hause bist oder es als Onlineangebot für dich interessant ist und noch überlegst, ob das was für dich sein könnte, dann lass dich von dieser wundervollen Empfehlung einer Patientin davon überzeugen, gleich nach dem Lesen dieses Interviews eine Mail an Anjuja zu schreiben: 

„Anjuna bringt mit ihrer Herzensarbeit etwas so Wertvolles in die Welt. Durch ihre feinfühlige und doch klare Art hat sie mir bei jeder Behandlung sofort ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelt.Sie gibt allem, was mich beschäftigt, einen angenehmen Raum und hat die Gabe, sowohl die körperlichen Beschwerden als auch die mentalen Themen aufzulösen oder so zu wandeln, dass ich mit Leichtigkeit wieder in den Alltag gehen kann. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. So empfehlenswert.” (Antje)

Annette: Welche guten Gedanken, Affirmationen oder Tipps kannst du den Leser*innen deines Interviews mitgeben, die gerade von einer Diagnose getroffen wurden oder in einer anderen Lebensherausforderungen stecken?

 Anjuna: Hier teile ich sehr gerne meine Affirmationen-to-go mit dir und allen Leser*innen des Interviews:

  1. Ich bin gut genau so wie ich bin.
  2. Ich bin stolz auf alles, was ich bereits geschafft habe.
  3. Heute bin ich ganz sanft zu mir.
  4. Ich bin sicher und beschützt.

Liebe Annette und liebe Leserin und lieber Leser da draußen: Nimm´ dir die Affirmation mit, die dir heute gut tut!

Und dann habe ich noch zum Schluss noch mein Lieblingszitat von Oprah Winfrey für euch alle dabei, frei übersetzt. Es erinnert mich in unsicheren Zeiten immer wieder daran, den Fokus in den jetzigen Moment zu bringen statt im Gedankenkarusell zu verschwinden:

Was ich sicher weiß, ist, dass der einzige Weg, das Beben zu überstehen, darin besteht, den Stand anzupassen. Man kann den täglichen Erschütterungen nicht entgehen. Sie gehören zum Leben dazu. Aber ich glaube, dass diese Erfahrungen Geschenke sind, die uns zwingen, nach links oder rechts zu treten, um ein neues Gleichgewicht zu finden. Kämpfe nicht dagegen an. Lass sie dir helfen, deinen Stand anzupassen. Balance lebt in der Gegenwart. Wenn du spürst, dass sich dich die Erde bewegt, bring dich zurück ins Hier und Jetzt. Du kannst mit der nächsten Erschütterung umgehen, wenn es soweit ist.

In diesem Moment atmest du noch. In diesem Moment lebst du. In diesem Moment findest du einen Weg auf höheres Terrain.”

Annette: Wow, Wow, Wow – ein schöneres Schlusswort für ein Interview könnte es wohl nicht geben. Liebe Anjuna, ich danke dir von Herzen für deine Zeit und deine Offenheit, mit der du in dieses Interview gegangen bist. Ich bin mir sicher, dass es ganz vielen Betroffenen da draußen Mut macht und Kraft gibt. Wir sind nicht allein.

 Alles, alles Gute für dich und deine Familie. Schön, dass es dich gibt.

 

Mehr über Anjuna erfährst du hier:

Anjunas Instagramaccount

Anjunas Homepage

Anjuna zu Gast im Podcast „Krebs als zweite Chance

Anjuna war einige Male im Podcast „Krebsverständlich“ zu Gast und spricht dort über „Narben“ , über „Lymphdrainage“, über „Physiotherapie“, über das Leben nach Krebs. „BEyond Cancer“, über “Fatigue” und “Beckenbodentraining”

Anjunas Kurvenkratzer-Blog hier nebenan auf Influcancer

Hier geht´s direkt weiter zu den anderen Interviews von “Annette fragt..:

Eulenspiegel IMG_ Aspect Ratio
Eulenspiegel IMG_ Aspect Ratio

Jetzt teilen