Krebs – Liebe – Punkt NULL
Annette fragt… Anett Kaczmarek
Bist du Krebsbloggerin, spült dir der Facebook-Insta-Algorithmus heimlich und leise andere Krebsaktivisten zu. So stieß ich auf die liebe Anett Kaczmarczek. Ich stöberte ein wenig auf ihrem Blog und schnell war mir klar, dass diese Frau eine interessante Interviewpartnerin für mich wäre.
Anett ist 46 Jahre alt, psychoonkologische Beraterin, Achtsamkeitscoach und virtuelle Assistentin. Nach überstandener Brustkrebserkrankung schlägt sie sich seit 2018 mit einem Lymphödem, einer chronischen Fatigue sowie einer reaktiven Depression herum und musste deshalb ihren geliebten Beruf als Arzthelferin aufgeben. Dennoch möchte sie ihr altes Leben nicht mehr zurück.
Freut euch auf ein äußerst mutmachendes Interview mit einer wahren Powerfrau.
Annette: Liebe Anett, reise zunächst mal mit uns ins Jahr 2018. Da bekamst du deine Brustkrebsdiagnose. Wo standest du damals in deinem Leben, beruflich, privat?
Anett: Im Frühjahr 2018 hatte ich erkannt, dass nach unschöner Scheidung und hohem Arbeitspensum, neuer Liebe und Umzug, meine Batterien mehr als leer waren und ich mich jetzt um mich kümmern und das Geschehene aufarbeiten musste. Ich war bei einer Familienberatung, habe eine Mütterkur beantragt und hatte das auch gerade meinen Chefs plausibel gemacht und deren Okay bekommen. Die Mütterkur war genehmigt und sollte auf meinen Wunsch hin Anfang 2019 stattfinden.
Aber dann kam der Krebs…
Annette: Ich startete mit meinem Blog ein paar Monate nach Beginn meiner Chemotherapie. Dein erster Blogeintrag stammt/entstand direkt nach deiner Diagnose. Wie kamst du auf die Idee, einen öffentlichen Blog zu starten? Wen wolltest du damit erreichen? Welche Resonanz hattest du?
Annet: Das war ehrlich gesagt ziemlich surreal. Eigentlich kam der erste Impuls schon auf dem Parkplatz des Brustzentrums, aber eher so als elektronisches Tagebuch für mich. Aufschreiben was war, um zu begreifen und zu verarbeiten. Diagnose erhalten, Impuls gehabt „Hey da mach ich doch einen Blog draus“ – ja so verrückt kann ein Hirn reagieren.
An diesem Tag war ich aber auch dabei, die Diagnose meiner Familie, meinen Kollegen und Chefs und meinen besten Freundinnen, die für mich Daumen drückten, zu übermitteln, und stellte fest, wie nervig und auch einfach ermüdend es für mich war, immer und immer wieder das Gleiche zu erzählen, dieselben Fragen zu beantworten und dabei selbst noch tapfer zu sein, weil das Gegenüber schon am Kollabieren waren.
Dazu kamen noch die vielen Klischees, die einfach durch fehlende Information oder Mythen so in den Köpfen rumgeisterten und ab da war klar: Mein Blog wird zwar vorrangig Anlaufstelle für meine Freund*innen und Bekannten, aber ich wurde auch eine Art Erklärbär, der berichtete, wie es sich so lebt, anfühlt und wie man es aushält mit dem Krebs und überhaupt, was alles so gemacht wird.
Ich bin nämlich nicht die glatzköpfige Krebspatientin, der ständig speiübel ist und die immer aussieht, als würde sie in den nächsten Tagen versterben. Ich darf trotz allem Spaß haben, lachen, aktiv sein, feiern, wandern, Sport treiben, all das, was ich sonst auch tun würde.
Annette: Du beginnst einen deiner ersten Blogtexte herrlich poetisch mit den Worten „Da sind wir nun mitten auf der Ostsee, zwischen den Ländern und zwischen gesund und krank.“ Anders als man meinen könnte, meinst du mit WIR keine/n Partner/in, Freund/in oder Ehemann/-frau, sondern dich und deinen Tumor, den du HORST nennst. Der Titel deines Blogs heißt auch „Horst muss sterben“ Wie kamst du auf diesen Namen und überhaupt auf die Idee, deine Krankheit zu personifizieren?
Annet: Du meinst den Text, den ich auf der Fähre von Deutschland nach Schweden geschrieben habe? In einer melancholischen Stimmung, von meinen Gefühlen überrollt. Das war etwa zwei Wochen nach Diagnose und den ersten Erfahrungen in der Maschinerie des Gesundheitswesens als schwer erkrankte Patientin.
Ich hatte plötzlich die Zeile „der alte Mann und das Meer“ im Kopf und begann darüber zu sinnieren, während die Fähre auf der Ostsee Richtung Trelleborg dahin schipperte. Ich war die Tage davor in der Klinik für die Umfelddiagnostik und die Portimplantation und habe dabei feststellen müssen: „Anett ist allein mit Horst, wenn die Nadeln, die Untersuchungen, die Chemo und die Gedanken kommen.“.
Die Idee, den Krebs zu personifizieren, kam von meinem Arzt, Dr. Hupfer. Er meinte „Geben Sie dem Tumor einen Namen, dann können Sie besser mit ihm schimpfen, ihn verfluchen oder über ihn triumphieren, er wird greifbarer!“ Warum ausgerechnet Horst, weiß ich bis heute nicht. Der Name kam mir in den Sinn und blieb.
Der Blogtitel ist dann ganz einfach erklärt: Wenn ich leben wollte, musste Horst sterben.
Und ja ganz schön provokativ gewählt oder schockierend, aber mich hat der Krebs ja auch nicht erst freundlich gefragt, ob er sich in meiner rechten Brust einnisten darf.
Annette: Infolge deiner Krebserkrankung und der Langzeitfolge „Fatigue“ kannst du nicht mehr in deinem Beruf als Arzthelferin arbeiten und bist verrentet. Was hat das mit deiner Psyche gemacht? Welche bürokratischen Hindernisse galt es zu überwinden, bis die Erwerbsminderungsrente bewilligt wurde?
Annet: Der Hauptgrund für das Aufgeben meines Berufes und dann auch für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben, war und ist nach wie vor das Lymphödem. Erst hatte ich das nur am rechten Arm, nach beidseitiger Mastektomie ohne Aufbau und Bestrahlung, dann auch am Thorax und im linken Arm und seit längerem jetzt auch in den Flanken, und der Bauch scheint auch nachzuziehen. Deshalb muss ich eine Kompressionsversorung tragen. Die verhindert, dass ich mich den Hygienevorschriften entsprechend desinfizieren kann. Ohne das geht es nun mal nicht im Gesundheitswesen. Deswegen kann ich nicht mehr als Arzthelferin arbeiten.
Leider gesellten sich dann zuerst eine reaktive Depression und dann auch noch Fatigue dazu. Alle drei zusammen sind inzwischen in die chronische Form übergangen.
Tja, und Anett wäre nicht Anett, wenn da nicht wieder seltene Extras dabei wären. So verhindert eine sogenannte komplizierte Hand, dass ich lange tippen oder mit der Mouse arbeiten oder mit dem Stift schreiben kann, was natürlich jegliche Umschulungspläne von Arbeitsamt bzw. Rentenversicherung zunichtegemacht hat.
Meine Psyche hat unser diesem ganzen Paket stark gelitten und war “im untersten Kellergewölbe“, wie ich immer gerne zu sagen pflege.
Annette: Was ja wohl absolut verständlich ist, meine Liebe! Da hast du ja auch ein großes Päckchen zu tragen.
Annet: Ich hatte mit der Diagnose eigentlich gesagt bekommen, dass ich circa ein Jahr krank und in Behandlung sei und dann wieder arbeiten könne. Nach und nach kristallisierte sich aber heraus, dass ich länger als ein Jahr benötigen würde und dann etwa ab Mai/Juni 2019, dass ich zumindest vorübergehend überhaupt nicht arbeiten können würde.
Bis Dezember 2019 befand sich meine Psyche so im Abstieg, dass man mir die reaktive Depression diagnostizierte und ich Antidepressiva und regelmäßige Psychotherapie benötigte. Das ist übrigens noch heute so, allerdings sind die Abstände zwischen den Therapiestunden größer geworden und wir arbeiten an der Dosisverringerung des Antidepressivas.
Bürokratische Hürden gab es so einige. Den Rentenantrag stellen, dann den Antrag auf Nahtlosigkeitsgeld, weil mein Krankengeld auslief und der Rentenantrag noch nicht entschieden war. Dann – nach Ablehnung des Antrags – in Widerspruch gehen, über Arbeitslosengeld bis hin zum Verfahren vor dem Sozialgericht. Das entschied dann endlich, das ich berentet werden muss.
Das hat insgesamt von Juni 2019 bis Juni 2021 gedauert! Ohne den Sozialverband VDK hätte ich das nicht alleine geschafft.
Und ohne meinen damaligen Lebensgefährten und inzwischen Ehemann und meine Familie hätte ich das finanziell auch gar nicht überlebt. In die Armutsfalle gerät man als Krebspatient*in schneller als einem lieb ist. Auch ein Thema, was wir immer und immer wieder den Fokus nehmen müssen.
Annette: Du hast dir anderweitige Standbeine gesucht und dich privat weiter- und ausgebildet. So arbeitest du nun selbstständig im Nebenerwerb als virtuelle Assistentin und als Begleiterin von Krebspatient*innen. Erzähl doch mal, was du machst und wie man dich kontaktieren kann.
Annet: Als virtuelle Assistentin bin ich quasi eine Art Sekretärin, die nur ihre tatsächlich geleisteten Stunden abrechnet und auf Zuruf arbeitet. Ist was zu tun da, übernehme ich es, wenn nicht, dann hab ich frei und der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber entstehen keine Kosten.
Ich unterstütze z.B. meine Physiotherapeutin bei der Abrechnung und Social Media. Ich korrigiere oder erstelle Texte auf Anfrage. Und ich organisiere den Social-Media-Auftritt einer lieben Kollegin. Zeitweise hab ich auch schon in der Ausbildung zur psychoonkologischen Begleiterin Teilnehmer*innen und Dozent*innen betreut per Emailerinnerung und Protokoll schreiben und war auch selbst Dozentin. Ich transkribiere auch ab und an Interviews in Videoformat.
Als psychoonkolgische Begleiterin nehme ich Krebspatient*innen an die Hand und bin mit Rat und Tat und oft auch mit dem Ohr zum Zuhören da. Nichts ist wertvoller als ein/e Betroffene/r, die/der neuerkrankten Menschen mit ihren/seinen Erfahrungen Mut machen und unter die Arme greifen kann.
Und da mir selbst das während meiner Erkrankung gefehlt hat, lag für mich nichts näher, als mich in diese Richtung zu qualifizieren. Allerdings alles online und im Selbststudium, so wie es Fatigue und allgemeines Befinden hergegeben haben. Eine Ausbildung von Montag bis Freitag mit täglich acht Stunden würde ich schlicht und einfach nicht schaffen.
Für mich selbst und für mein Ehrenamt in der Frauenselbsthilfe Krebs und die Patient*innen, die ich quasi privat betreue, habe ich mich zur Meditationsleiterin und Waldbaden-Kursleiterin weiterqualifiziert. Aktuell rundet noch die Ausbildung zur Achtsamkeitstrainerin alles ab und dann stimmt für mich das Gesamtpaket.
Annette: Wow -ich verneige mich vor dir. Du bist ja bald profimäßig für sämtliche Bereiche der Begleitung, Betreuung und Unterstützung ausgebildet. Würdest du näher wohnen, würde ich mich gern mal in einem deiner Kurse anmelden.
Annet: Ja, das ist schade, aber wir sind ja via Mail und Messenger auch so gut in Kontakt. Für alle anderen, die ein Anliegen haben: Man kann mich übrigens über meine Website www.anettkaczmarek.de erreichen oder über Facebook und Instagram oder auch über das Netzwerk FSH Onliner – je nachdem was ich für euch tun darf. Und bitte gleich hier schon um Verständnis, dass ich nicht auf Teufel komm raus alle Aufträge und Anfragen annehmen kann, denn ich bin nach wie vor auch selbst Patientin.
Annette: Du bist schon gepilgert. Zeigst dich auf Fotos beim Frauenlauf in Berlin. Und bietest auf deiner Homepage ein Format an, das sich „walk and talk“ nennt. Toll…. Aber… Ganz provokativ gefragt: Wie verträgt sich denn so viel Bewegung mit deiner Fatigue? Ich dachte, da ist man ständig müde…
Annet: Zuerst einmal muss ich sagen: “Fatigue ist nicht gleich Fatigue.” Fatigue ist ein Chamäleon!
Fatigue bedeutet in vielen Fällen glücklicherweise nicht, dass man 24 Stunden am Tag müde, kraftlos ist und im Bett liegt. Es bedeutet in meinem Fall, dass ich mich belasten kann, körperlich sowie geistig, dabei aber bestimmte, sagen wir mal Regeln, beachten muss und es trotz allem sein kann, dass ich an einem Tag völlig daneben lag mit dem, was ich wollte und dem, was ich schlussendlich konnte.
Allgemein bedeutet es für die meisten von uns, dass man schneller erschöpft ist, viel mehr Pausen benötigt, sich schlechter oder kürzer konzentrieren kann, ein eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis hat und schnell von all den Reizen überfordert ist.
Zuerst habe ich akzeptieren müssen, dass mein Körper und auch der Geist nicht mehr so gehorchen wie gewohnt. Aber ich glaube, da liegt schon das Grundproblem der Gesellschaft, dieser Gehorsam, den wir von Körper und Geist verlangen. Wir gehen allzu oft über die Grenzen des Machbaren hinaus und dann werden wir krank oder fallen im schlimmsten Fall mit einem plötzlichen Herztod um.
Dabei geholfen hat mir das Buch von Evelyn Kühne „Viertel Kraft voraus“, mein Blog, über den Antje Vorndran mich gefunden hat und für die ich dann zusammen mit Dr. Sabrina Han ein Kapitel schreiben durfte. Netzwerken at ist’s best würde ich mal sagen, hihi.
Annette: Da hast du absolut recht. Und an dieser Stelle muss ich eine kurze Sideinfo einwerfen: Evelyn Kühne, Antje Vornedran und Sabrina Han waren alle schon bei mir im Interview. Lest direkt im Anschluss doch gleich auch Ihre Interviews! Aber nun wieder zurück zu dir, liebe Anett.
Annet: Ich habe in meinen Rehas – aber am meisten von Dr. Sabrina Han und ihrem Fatigue Coaching, für das ich glücklicherweise Testpatientin sein durfte – gelernt, wie ich meine Tage und Wochen organisiere und wie wichtig es ist, sich für sich selbst Zeit zu nehmen. Wie schwer es ist, Nein zu sagen und wie gut es dann doch tut, wenn man merkt, dass der Gegenüber das akzeptiert und es für einen selber am besten ist.
Ich habe also meine eigenen Regeln aufgestellt wie zum Beispiel: nur ein Termin pro Tag, nur ein Arzttermin pro Woche. Maximal alle zwei Wochen eine Reise für das Ehrenamt, am besten nur einmal im Monat. Dann auch entspannt im Zug anreisen anstatt mit dem Auto. Ja, man staune, bis auf einmal, bin ich tatsächlich seit 2021 entspannt mit der Bahn durch die Lande gereist!
Ich arbeite konzentriert an einer Sache und dann läuft auch nicht noch das Radio nebenher und das Handy steht dann auf lautlos. Bücher lesen hab ich mir mühsam wieder erarbeitet, das geht aber auch nur, wenn Ruhe herrscht und es keine schwere Kost ist.
Na ja und das Kurzzeitgedächtnis – reden wir nicht drüber…
Du wunderst dich: Fatigue und Bewegung? Ja, auf jeden Fall! Prinzipiell wird körperliche Bewegung empfohlen, wegen der Glückshormone, wegen der Atmung und so weiter.
Allerdings gilt auch hier: Tu was dir Spaß macht, trainiere nicht, als wolltest du zu Olympia und baue ausreichend Pausen ein. So ist es eben möglich, dass ich in Berlin beim Frauenlauf zehn Kilometer walken kann, weil mich meine eigenen Hormone und die vielen tollen Frauen einfach mitreißen. In den darauffolgenden Tagen brauche ich dann eben Ruhe.
Auch beim Pilgern war das so. Ich war Mitte August 2021 eine Woche etwa 140 Kilometer pilgern von Frankfurt/Oder bis zum Brandenburger Tor. Die letzten zwei, drei Tage war es für mich schon sehr hart. Aber ich habe es geschafft! Wir waren ja alle Krebspatient*innen plus die Pilgerführerin. Da herrscht auch ein spezielles Klima untereinander und ich hätte mich jederzeit abholen lassen oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum nächsten Ziel fahren können. Die nächsten etwa drei bis vier Wochen nach meiner Rückkehr war ich dann aber platt.
Es gilt halt: Die Dosis macht das Gift oder im dem Fall Fatigue. Und weil Fatigue ein Chamäleon ist, kann die Dosis der Anstrengung von gestern heute schon die falsche sein. Aber mit der Zeit bekommt man ein Gefühl für sich und seinen Körper.
„walk and talk“ ist übrigens ein Format, bei dem ich mit meinen Klient*innen einfach spazieren gehe, bevorzugt im Wald, und dann lässt es sich viel besser und leichter reden als auf der Psychocouch und zusätzlich kommen einem die heilsamen Effekte der Natur zu Gute. Atemübungen, kurze Meditationen sind dabei, wenn gewünscht.
Annette: Du hast keine Brüste mehr und dich bei mehreren Fotoshootings ablichten lassen. Ich sah dich mit einem im Bodypainting gefärbten nackten Oberkörper, auf einem Foto mit abladiertem nackten Oberkörper, als Fotomodell in einem Buch und und und und. Ich bewundere deinen Mut! Wie kam es dazu?
Annet: Zum einen gehören ein bisschen Wahnsinn und Übermut dazu. Zum anderen: „Warum sollte ich mich nicht zeigen?”
Für das erste Fotoshooting von “schön&stark“ hab ich mich tatsächlich aus einer verrückten Anwandlung heraus angemeldet. Bei der Anreise hab ich mich ehrlich gesagt schon gefragt „Was zum Geier mache ich hier?“ Als ich dann aber am Abend vor dem Shooting mit circa acht Frauen, ebenfalls Teilnehmerinnen, nett am Tisch saß und mich gut unterhalten habe, einige davon sogar kannte und wieder andere aus Sachsen kamen so wie ich, waren Aufregung und Co. schnell weg.
Mir ist es inzwischen sehr wichtig geworden zu zeigen, dass man auch beidseitig abladiert eine Frau ist. Dass mein Körper gerade mit all den Narben schön ist. Und vor allem, dass wir Betroffenen uns nicht verstecken müssen. Es soll ganz allgemein helfen, egal ob Männlein, Weiblein oder divers, nach so einer Erkrankung, den eigenen Körper wieder anzunehmen und zu verstehen, dass wir soooo viel mehr sind als „nur“ unsere Krebserkrankung.
„schön&stark“ ist ja direkt ein Fotoprojekt für mehr Selbstliebe. Frauen mit unterschiedlichsten Krebsdiagnosen, mit ganz unterschiedlichen Körpern haben einen tollen Nachmittag zusammen und es entsteht so was wie eine Gemeinschaft. „Sisterhood“ würde man wohl auf Neudeutsch sagen. Man tauscht sich aus, man sieht auch andere OP-Ergebnisse und erfährt auch von anderen Schicksalen. Dieses „Ich-bin-damit-nicht-allein-Gefühl” ist hier ganz stark.
Da ich auch in diesem Jahr wieder mit dabei bin, ist es fast schon eine Art Klassentreffen geworden. Es sind immer ein paar Stammgäste und Neue dabei, und genau das ist die richtige Mischung.
Recover your smile ist da dann doch etwas anders angelegt. Hier trifft man sich im ganz kleinen Kreis und bekommt für sich jeweils zwei Shootings. Eines im Alltagslook, den man selbst mitbringt, und eines im Kostüm aus dem Fundus – man schlüpft in eine andere Rolle, man kann Diva, Barbie, schwarze Frau oder was auch immer sein und so erkennen „Hey, das bin ich ja auch!“ Dazu gibt es tolle Gespräche, professionelles Make-up und Stylistinnen, die beim Ankleiden helfen.
Warum ich keinen Aufbau hab machen lassen, ist eine längere Geschichte.
Annette: Erzähl sie uns gerne…
Annet: Also… Nach zwei brusterhaltenden OPs wurden immer noch Krebszellen und leider auch Brustkrebsvorstufen bei mir (DCIS) gefunden. Man bot mir an, die Brust so zu entfernen, dass nur noch die Hülle bleibt und dort ein Implantat eingesetzt wird. Es hätte aber auch bedeutet, das meine linke Brust von der Größe her angepasst werden müsste. Ich wollte kein Implantat, ich wollte nicht zwei ungleiche Brüste, ich wollte auch nicht einbrüstig bleiben.
Da ich 1998 aus der linken Brust bereits einen gutartigen Tumor entfernt bekommen hatte, wollte ich beide Brüste im wahrsten Sinne loswerden. Wer weiß schon, was da noch drin schlummert? Ich hatte glücklicherweise Kontakt zu einer beidseitig abladierten Dame und holte mir von ihr letzte Tipps und die Bestätigung, dass ich richtig entschieden hatte. Sie lebte ganz genau so damit, wie ich mir das vor meiner eigenen OP vorgestellt hatte.
Wenige Wochen nach der OP flatterte das Ergebnis des Genetikers ins Haus – ich bin BRCA1 Mutant mit einer 80% Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken – hatte mir mein Bauchgefühl also das absolut Richtige geraten.
Ganz wichtig ist mir an dieser Stelle zu erwähnen, dass mein damaliger Lebensgefährte und inzwischen Ehemann, voll hinter meiner Entscheidung stand und steht. Wir hatten uns 2015, nach fast 25 Jahren, über Facebook wiedergefunden. (Wie romantisch, oder?) Die Angst, mich an den Krebs zu verlieren, war einfach größer als mich ohne Brüste noch lange an seiner Seite zu wissen.
Mein Körperbild beeinträchtig in keinsterweise unsere Paarbeziehung! Wohl auch, weil ich damit völlig im Reinen bin.
Durch diese Erfahrung bin ich beim Verein AMSOB e.V.( = AblatioMamaeSelbstbewusstOhneBrust) gelandet. Wir treten dafür ein, dass die Mastektomie ohne Aufbau eine gleichwertige Option in der Brustkrebstherapie wird. Leider ist es nämlich nur allzu oft die Option, die mit ein bis zwei Sätzen am Ende erwähnt, aber nicht wirklich gleichwertig empfohlen bzw. erklärt wird. Im Gegenteil, oft hören wir von Frauen, die auf völliges Unverständnis bei den Ärzten stoßen und sich dann sogar in andere Kliniken begeben müssen, um ihre Entscheidung durchsetzen zu können.
Annette: Ich bin für Jung-und-Krebs e.V. in der Selbsthilfe tätig. Du engagierst dich ehrenamtlich für die Frauenselbsthilfe Krebs in Sachsen und mit dem Netzwerk FSH Onliner bundesweit. Wir beide wissen, dass Selbsthilfe oftmals als „Gemeinsames Lamentieren im Stuhlkreis“ abgetan wird. Hier ist jetzt deine ultimative Chance, mit Vorurteilen gegenüber Selbsthilfetreffen aufzuräumen. Auf geht´s!
Annet: Herrlich – „Lamentieren im Stuhlkreis” – das alte Klischee. Aber ja leider ist das noch immer in vielen Köpfen so drin.
Ich war und bin ja von Anfang an in der Onlineselbsthilfe tätig. Nix Stuhlkreis, sondern quadratische Kacheln im Zoom. Natürlich gibt es bei Präsenzveranstaltungen den guten alten Stuhlkreis noch, aber es wird nicht lamentiert! Er erfüllt einen Zweck: Zum einen sieht man im Kreis immer die/den Sprecher/in, zum anderen ist man so in einer Gemeinschaft. Außerdem haben wir ganz viele Tools gefunden oder entwickelt, die den Stuhlkreis nicht langweilig machen.
Natürlich ist der Krebs ein Thema, deswegen sind wir ja hier gelandet, aber wir reden über das Leben, über die Zukunft, über bürokratische Hürden. Wir feiern zusammen Geburtstag, Weihnachten, Karneval und Ostern. Es wird zusammen gebastelt, gemalt, getanzt, gesungen, gekocht, gewandert. Wir haben tolle Fotoaktionen und Vorträge und manchmal trauern wir eben auch zusammen.
Bunt wie das Leben selbst und definitiv nicht langweilig! Online und offline!
Annette: Absolut, absolut. Das kann ich für die Treffen mit meiner Selbsthilfegruppe nur bestätigen und unterstreichen. Liebe Betroffene da draußen, nutzt das Angebot der Selbsthilfe, es lohnt sich, egal ob live oder via Computerbildschirm.
Annette: Du hast an einem Forschungsprojekt zur „Resilienz“ teilgenommen. Ganz ehrlich: Ich kenne dieses Wort, aber so ganz genau kann auf Anhieb jetzt auch nicht erklären, was es bedeutet. Hilfst du mir und den Leser*innen bitte auf die Sprünge?
Annet: Resilienz ist die Kraft oder das Vermögen, das in dir selbst steckt, damit du in einer Krise nicht sang- und klanglos untergehst. Resilienz ist die Art, wie du mit der Krise umgehst, um damit zurechtzukommen. Wie du dich der neuen Situation anpasst und entsprechend reagierst und agierst.
Ja, Krebs ist eine schwere Krise! Und ich habe alles Mögliche getan, um dieser schweren Krise entgegenzutreten. Ich habe mich aktiv hineinbegeben, um gut herauszukommen. Ich habe mich zum Beispiel viel informiert und belesen, darüber geredet und geschrieben, während der Therapie dann für mich Mittel und Wege gefunden, um mir körperliche und seelische Beschwerden zu lindern, gut durch die Therapie zu kommen und so weiter. Jetzt, nach überstandener Therapie (immerhin werden es im Sommer 2023 schon vier Jahre), habe ich wiederum Mittel und Wege für mich entdeckt, die mir Kraft geben, Freude machen und mich tatsächlich gestärkt aus der Nummer herausgehen lassen.
Das Forschungsprojekt zur Resilizenz wurde von 2016 bis August 2022 von der Netzwerkstatt Krebs, unter dem Dach der Frauenselbsthilfe Krebs, durchgeführt und wurde gefördert vom Bundesgesundheitsministerium und begleitet vom Leibniz Institut. Herausgefunden werden sollte, ob auch Onlineselbsthilfe die Resilienz stärken kann und das noch lange vor Corona.
Entstanden ist daraus die Broschüre „Leben mit Krebs – Ein Wegbegleiter zu mehr Resilienz und Wohlbefinden“, die man auf der Seite der FSH online lesen oder downloaden kann. Und daraus entstanden ist auch das Netzwerk FSH Onliner, denn die Aktiven wollten nach Projektende gerne das Angebot fortführen und ausbauen für die vielen Betroffenen da draußen.
Schaut doch gerne mal auf Facebook, Instagram oder unserer Homepage bei uns vorbei. Wir bieten eine Onlineselbsthilfegruppe, Sport und Bewegung, eine kreative Schreibzeit und Expert*innenvorträge an und das alles online via Zoom.
Annette: Auf Fotos bist du oft mit Handschuhen oder mit einer Art Stützstrümpfe über deinem Arm zu sehen – so wie auch auf dem Titelfoto hier zum Interview. Hat das etwas mit deinem Lymphödem zu tun, das du infolge deiner Krebserkrankung hast und dem du den Namen „Gisela“ gegeben hast?
Annet: Das Lymphoedem heißt Gisela in Anlehnung an Horst Schlemmer. Sie sagte ja immer so schön: „Isch möschte das nischt!“ Mir geht das mit dem Lymphoedem so. Und da der Tumor Horst hieß, was lag da näher als Gisela? Mein Fatigue heißt einfach “Madame Fatigue”, spielt sich ja auch auf wie eine Diva, oder?
Diese sogenannte/n “Kompressionsversorgung” oder auch “Kompressionsärmel”, dich auch an Armen und – wenn es ganz arg ist – auch am Thorax trage, sind in der Tat dafür da, um den Körper zu unterstützen, dass das Lymphoedem nicht noch weiter fortschreitet und die Lymphflüssigkeit abtransportiert werden kann. Es gibt sie in klassisch hautfarben oder schwarz, ich bevorzuge die Modefarben des Herstellers.
OHNE würden Arme und Hände massiv anschwellen und ich hätte Schmerzen. MIT ist es zwar gerade im Sommer gemütlich warm, aber die Schwellung wird nicht schlimmer, als sie ist, die Lymphdrainage wird im Anschluss unterstützt und mir gehts damit besser.
Aber wenn das der Preis dafür ist, dass ich noch leben darf, dann zahl ich ihn doch gern!
Annette: Zum Schluss noch eine Frage, die ich stellen muss, weil ich sonst nicht schlafen kann, hihi… Was hat es denn bitte mit den Socken auf sich, die man auf so vielen Bildern auf deinem Profil sieht und die sogar in einem Text zum schwierigen Thema „Hospiz“ zur Sprache kommen?
Annet: Na das wollen wir ja aber nicht schlaflose Nächte, da helfen gestrickte Socken gut dagegen.
Ich habe als Kind ganz klassisch stricken, häkeln und sticken von meiner Oma gelernt und dann als altmodisch betrachtet und vergessen. Während der Trennung von meinem ersten Mann hab ich intensiv Tücher gestrickt und gehäkelt, während der Chemozeit Socken stricken gelernt. Ich gehöre zur Gattung kaltes Füßchen.
Annette: Oh, das kenne ich. Schlafe ich doch keine Nacht, auch nicht im heißesten Hochsommer, ohne meine Socken.
Annet: Dann gab es eine Aktion die sich “grüne Socken“ nannte. Die war für Frauen, die an Eierstockkrebs erkrankt waren. Da ich über das Buch von Sabine Dinkel „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht!“ auch privat mit ihr in Kontakt war und ich mich ihre Diagnose beschäftigte, hab ich natürlich mitgestrickt. Sabine hat von mir für ihre letzten Lebensmonate ein großes grünes Tuch bekommen.
Und inzwischen stricke und verschenke ich gern Socken an Freund*innen und Bekannte oder werde gefragt, ob ich nicht mal ein paar fertigen könnte. Mir macht das Spaß, wenn es keine komplizierten Muster sind, und gegen die Polyneuropathie in den Fingern hilft es auch noch.
Im Hospiz, zumindest hier im SRH Hospiz Werdau und auch in dem in Falkenstein/Vogtland, bekommt jeder Gast sein eigenes Paar gestrickte Socken beim Einzug bzw. verkaufen die Hospizmitarbeiter*innen und die Ehrenamtlichen auch gerne welche, wenn sie mit ihrem Infostand hier und da vertreten sind und sammeln so Spenden für ihre wichtige Arbeit. Dafür stricke ich auch und hoffe, dass auch viele Sockenstricker*innen sich beteiligen.
Annette, ich strick dir übrigens auch gern ein Paar.
Annette: Au ja, das wäre toll! Ich freu mich drauf.
…
Liebe Anett, ich danke dir sehr für dieses ausführliche und offene Interview, mit dem du sicherlich vielen anderen Frauen zeigst, dass es sich lohnt, sich ihrer krebsigen Situation mit einem Lächeln und Willenskraft zu stellen. Du bist eine echte Mutmacherin! Ich freue mich, wenn wir weiter in Kontakt bleiben.
Mehr über Anett findet ihr hier:
Anetts Homepage
Anetts Brustkrebsblog „Horst muss sterben“
Anett als Krebsbloggerin auf Instagram
Anetts zweiter Insta-Account „Anetts Fotozauber“ mit wunderschönen Fotos, die ihre Leidenschaft zum Fotografieren ausdrücken
Anett auf Facebook
Anett in einem Text zur Frage „Willst du dein altes Leben vor dem Krebs zurück?“
Anett zu Gast in Podcasts
Anett bei Fotoshootings
Zusatzkapitel zum Thema „Fatigue“, das Anett als Co-Autorin fürs Buch „Nicht allein auf weißem Flur“ verfasste.
Anett in „Leben Leben“
Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”