Krebs – Liebe – Punkt NULL
800 Meter
Ich war gerade in der Apotheke. 400m liegen zwischen meiner Haustür und der Apotheke bei uns im Ort. 400m hin und 400m zurück. Ein Katzensprung.
Ich bin seit Wochen nicht so weit am Stück gelaufen.
Meine Diagnose ist keine anderthalb Jahre alt. Als ich von meiner Erkrankung erfuhr war ich fit. Ich will nicht sagen ich war super sportlich, das wäre auch nicht wahr, aber ich hatte einiges an Gewicht verloren und einiges an Kondition aufgebaut. Ich war regelmäßig schwimmen und walken.
Die Krebstherapie hat mich fertig gemacht. Ich habe während beider Chemotherapien enorm abgebaut.
An wandern und co ist schon lange nicht mehr zu denken.
Und doch, mit Abstand am meisten niedergestreckt hat mich letzten Endes die Sache mit meiner Lunge. Kurzatmig und völlig übermüdet haben mir die letzten Wochen so viel mehr Kraft und Kondition geraubt als alle Therapien zuvor.
Als der Husten begann war ich mit einer Freundin und meiner Tochter in der Stadt. Wir haben Stoff gekauft, sind ein paar Meter gelaufen, ich bin Auto gefahren.
Da ging es mir gut. Alles war anstrengend, auch weil es super warm war, aber es ging. Ich habe mich nicht schwer behindert gefühlt. Ich habe mir nicht ganz grundsätzlich die Frage gestellt ob ich es schaffe vom Auto zum Laden zu laufen.
Das ist knapp sechs Wochen her. Sechs Wochen in denen ich immer weniger Schlaf gefunden habe und immer schlechter atmen konnte. Zu den rein körperlichen Probleme kam dann die Angst. Wenn man nicht atmen kann ist das vermutlich für jeden Menschen sehr beunruhigend. Für uns Krebspatienten vielleicht noch ein wenig mehr. Die Sorge es könnte eine Lungenmetastasierung da sein drängt sich auf.
Dann kam der psychische Effekt den die Schlaflosigkeit mitbringt. Mir fiel alles immer schwerer. Mich aufzuraffen und rauszugehen war eine riesige Herausforderung.
Als ich schlussendlich im Krankenhaus lag war ich so entkräftet, dass ich eigentlich nur am zittern war. Mein Kreislauf war am Ende. Ich habe mehrere Tage eigentlich nur im Bett verbracht (auch wenn ich mir ab Tag 3 spätestens große Mühe gegeben habe wenigstens nicht die ganze Zeit zu liegen).
Ich finde es gleichermaßen erstaunlich und erschreckend wie schnell ein Körper tatsächlich abbaut. In den letzten Tagen habe ich mich gezwungen. Ich bin in der Wohnung auf und ab gelaufen, Treppen rauf und runter, habe gekocht und ein wenig Haushalt gemacht und habe etwas gelitten aber noch mehr habe ich gemerkt wie schnell sich das auszahlt. Ich habe die Kontrolle über meine Beine zurückerlangt und mir meinen Tage-Nacht-Rhythmus zurück erkämpft.
Und heute habe ich entschieden zur Apotheke zu laufen. Ich bin alleine und in der Apotheke wartete ein bestelltes Medikament. Ich hätte ohne Probleme meinen Mann bitten können. Die Apotheke würde mir das auch bringen, aber das wollte ich nicht. Das Wetter ist gut. Es ist nicht wirklich warm, aber sonnig und trocken.
Ich bin gelaufen.
Ich musste vor der Apotheke sogar einige Minuten warten. Ich bin anschließend beim Bäcker vorbei geganen und habe mir einen Cappuccino geholt. Ich habe viel weniger gelitten als ich gedacht hätte.
800 Meter. Ich habe Google gefragt.
Sie waren gut zu meistern. Sie waren heute nicht mein Limit. Morgen werde ich weiter laufen. Ich werde mir meine Kondition zurückholen. Weil das so überhaupt nicht OK ist.
Wer mich heute rumlaufen sieht denkt sicher ich bin vollkommen am Ende, aber das bin ich nicht. Mit mir geht es aufwärts. Man muss nur wissen wo ich herkommen.
800 Meter waren vor ein paar Tagen noch vollkommen undenkbar.