Krebs – Liebe – Punkt NULL
41 Tage bis zur Diagnose
01.04.2017
Ich quäle miIch fürchterlich mit dem Gedanken bald zum Gynäkologen zu müssen. Genaugenommen ist der Termin schon lange fällig. Ich habe schon lange schlimme Bauchschmerzen, mittlerweile täglich.
Bei der Darmspiegelung kam raus, dass ich einen sehr hübschen Darm habe 🙃. Davon habe ich mich am Monitor direkt selbst überzeugt. Frau muss schließlich alles unter Kontrolle halten und hat die Spiegelung ohne Kurznarkose durchgezogen. Wenn aber der Darm ausgesprochen hübsch ist liegt das Problem an anderer Stelle….
Mein Bruder Marcus meckert schon lange, dass er bald kein Verständnis mehr hat und ich endlich zum Gynäkologen gehen soll. Er hat ja recht, der Termin ist schon lange überfällig, aber dieser Termin ist für mich so furchtbar schwierig. Wenn es einfach wäre, dann hätte ich schon längst einen Termin – wirklich.
Ich hasse es angefasst zu werden oder etwas nicht kontrollieren zu können. Mensch stell dich nicht so an Susanne! Du bist keine 10 oder 20 mehr, was war das war, jetzt ist jetzt. Es ist aber so viel komplizierter und ich kann von Aussenstehenden nicht erwarten, dass sie das verstehen.
Dann ist aber noch ganz tief in mir ein Gefühl das ich nich beschreiben kann. Nüchtern betrachtet gibt es genau zwei Möglichkeiten: Entweder die Untersuchung ergibt dass nichts ist oder es ist etwas schwerwiegendes. Was ist besser? Ich weiß es nicht! Bei Möglichkeit eins stehe ich wieder am Anfang, bei Möglichkeit zwei “habe ich den Salat”!
Eine meiner Omas sagte immer „da beißt die Maus keinen Faden ab“ – recht hat sie – ob ich will oder nicht – ich muss durch!
28.04.2017
Der Tag der Tage ist da, ich habe den Termin bei einer Gynäkologin. 1999 war ich das letzte mal, mehr oder weniger freiwillig, beim Frauenarzt. Der Weg zum heutigen Termin war eine “schwere Geburt”. Lange, wirklich lange habe ich den Termin vor mir her geschoben. Drängen von vielen Seiten (ja, jeder Einzelne hat recht) und schließlich hat meine Freundin den Termin für mich in Augsburg arrangiert. Hätte sie es nicht getan wäre ich wohl bis heute nicht gewesen denn ich hätte mich nicht überwinden können den Termin zu vereinbaren.
Ich fahre mit dem Zug nach Augsburg um den Termin wahrzunehmen und bin ziemlich gefasst bis ich im strömenden Regen vor der Praxistür stehe – bei mir brechen alle Dämme. Mehr als 30 Minuten später habe ich mich wiederNach einer halben Stunde habe ich mich wieder halbwegs gefasst und stehe in der Praxis.
Während ich warte spielen meine Nerven erneut verrückt. Mein Kopf weiß: es passiert nichts, was ich nicht will! Gleichzeitig breche ich immer wieder in Tränen aus. Krass! Normalerweise habe ich mich, im Bezug auf meine Emotionen, absolut unter Kontrolle.
Die Gynäkologin ist wirklich sehr nett und verständnisvoll als ich ihr meine Vorgeschichte erzähle und heulend wie ein Schlosshund vor ihr sitze. Aus meiner Sicht reagiere ich absolut unverhältnismäßig. Mein Kopf ist wie ausgeschaltet und ich bin regelrecht sauer auf mich.
Das Ergebnis der Untersuchung ist eine große Raumforderung am rechten Ovar. Beruhigend erklärt mir die Gynäkologin irgendetwas von Dermoid- und Schokoladenzyste. Ich höre kaum noch hin und mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Es folgt eine Blutabnahme um die Tumormarker zu bestimmen.
Ich habe es geschafft und ein gewisser Stolz ist völlig berechtigt. Trotzdem bin ich auch sehr geschafft, denn es ist sehr anstrengend sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Es war mehr als notwendig den Termin durchzuziehen, ich habe es geschafft und auf der Heimfahrt habe ich „Dr. Google“ konsultiert.
01.05.2017
Es wird mir bewusst, dass ich nicht erst wieder in zwei, drei oder 15 Jahren zu einer gynäkologischen Untersuchung muss und eine gewisse Panik steigt in mir auf, in der nächsten Zeit werde ich Kontakt mit Ärzten haben die ich mir nicht aussuchen kann und von welchen ich mich anfassen lassen muss.
Bisher dachte ich immer ich hätte in mir halbwegs aufgeräumt, mich mit meiner Essstörung arrangiert, mir mein Leben eingerichtet, meine Vergangenheit in “Päckchen” gepackt, so dass es für mich im Alltag läuft.
Aber seit Donnerstag holt mich meine Vergangenheit ein, ich bin komplett durcheinander und obwohl ich mich normalerweise im Griff habe, heule ich wie ein Schlosshund. Ich will nicht weinen, es passiert einfach. Ich weiß nicht was ich denken soll, denn meine primäre Angst ist in der nächsten Zeit angefasst zu werden. Tatsächlich zweitrangig ist die Sorge ob das Ding in mir gut oder bösartig ist. Sicher das schwingt auch mit, wirft mich aber nicht so aus der Bahn.
Ich vermute das hört sich etwas „gestört“ an. Ich bin mir bewusst dass es vermutlich nur Menschen verstehen können die Ähnliches wie ich erlebt haben. Aber vielleicht gelingt es dem Einen oder Anderen sich doch ein wenig einzulassen und dadurch zu verstehen. Ich hätte nie gedacht, dass mich meine Kindheit und Jugend jemals wieder so einholt. Ich denke gerade ernsthaft darüber nach nicht ins Krankenhaus zu gehen. Selbstverständlich weiß mein Verstand dass das Schwachfug ist.
Meine inneren Päckchen, über Jahre für bearbeitet, fest verpackt und in mir sortiert und verstaut, sind nun komplett durcheinander, aufgerissen und verstreut.
Irgendwie gibt es Keinen, mit dem ich darüber reden kann, zudem würden es die Wenigsten verstehen. Ich muss dringend wieder aufräumen, die Päckchen erneut verpacken und bestenfalls doppelt und dreifach fixieren, denn ich glaube, dass ich meine Kräfte demnächst dringend für andere Dinge brauche.
Wenn ich ehrlich zu mir bin sagt mir mein inneres Gefühl, dass das Ding in mir nicht nett ist. Abwarten ob mein Gefühl recht hat.
08.05.2017
Am Wochenende hatte ich Dienst und mein Kopf war irgendwo nur nicht bei der Arbeit. Meine Gedanken spielten verrückt und mehrmals musste ich mich ins Büro zurückziehen, weil ich einfach aus heiterem Himmel heulen musste. Ich kenne mich so überhaupt nicht.
Die Zeit zog sich wie Kaugummi (brrrr den mag ich nicht) und das Wochenende wollte nicht vergehen. Alles fühlt sich so unsagbar lange an, es scheint, dass die Zeit gegen mich ist.
Telefonisch habe ich mich auf Arbeit krank gemeldet und mir von der Gynäkologiepraxis die Tumormarker mitteilen lassen. Der CA 125 liegt bei 425.
Was folgt ist der Termin bei der Hausärztin, sie ist super nett und arrangiert für mich die weiteren Termine. Tatsächlich bin ich selbst dazu im Augenblick nicht fähig.
Nächsten Montag soll ich zum MRT und Dienstag folgt ein Termin in der Gynäkologischen Ambulanz am Klinikum Fürth. Ich habe gerade das Gefühl nichts auf die Reihe zu bekommen und bin meiner Hausärztin für die Unterstützung dankbar.
Als ich meine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Händen halte trifft es mich wie ein Schlag: C56 (Bösartige Neubildung des Ovars)
11.05.2017
So viel wie in der letzten Woche habe ich mein ganzes Leben nicht geweint. Es kommt aus “heiterem” Himmel, einfach so, von jetzt auf gleich.
Vergangenes Wochenende habe ich nochmals gearbeitet. Ich hatte das Bedürfnis auf Arbeit alles in Ordnung zu bringen, denn es lässt mich das Gefühl nicht los die nächste Zeit nicht wieder an meinen Arbeitsplatz zu kommen. Auf Wochenende folgt Montag und seitdem bin ich auf der Arbeitsstelle wieder Krank gemeldet.
Schon ist er wieder da der „Zeitkaugummi“. Es ist faszinierend wie langsam doch die Zeit vergeht im Warten, in der Ungewissheit und „sich kaum wiederzuerkennen.
Montag dann das MRT mit Kontrastmittel. Zugegeben ich hatte etwas Bammel nicht in das Gerät zu passen was aber völlig unbegründet war.
Dienstag dann die gynäkologische Ambulanz am Klinikum Fürth. Ich bin mit meinen ganzen Vorgeschichten wohl nicht unbedingt eine einfache Patientin. Es waren jedoch alle sehr bemüht und freundlich, fast vorsichtig mir gegenüber.
Am Folgetag findet ein CT im Klinikum Fürth statt. Für mich persönlich eine kleine Katastrophe, aber ich habe es überstanden. Angefangen hat es damit dass ich einen Zugang für das Kontrastmittel brauchte. Nach dem 8. Fehlversuch einen Zugang zu legen schickte mich dee Ambulanzarzt in den Aufwachraum zu einem Anästhesisten. Dieser hat sich viel Mühe gegeben, aber schließlich Zugang mit Ultraschall an der Hand gelegt. Zugänge an der Hand kann ich nicht ausstehen, jedoch war ich schon mehr als 90 Minuten im Verzug zu meinem CT-Termin. Mittlerweile war es mir tatsächlich fast egal, Hauptsache das Ding ist endlich drin.
Mein Weg ging weiter in die Röntgenabteilung. Als ich dran war meinte die Röntgenassistentin, ich solle mich frei machen, weil ich jetzt einen Einlauf bekäme. Da war es wieder „Panik“! Dreimal Luft geholt um die Fassung wieder zu erlangen und erstmal gestreikt. Die Schwester war kurzzeitig ebenso überfordert aber sehr bemüht und ich entschied mich für die Alternative: 3 l Kontrastmittel in 1,5 Stunden
Vor lauter Aufregung hatte ich seit mittlerweile 20 Stunden nichts gegessen und das Kontrastmittel landete in einem verärgerten Magen. Das war wirklich Quälerei aber noch immer besser als Einkauf! Als die Untersuchung begann meinte die Radiologieassistentin, es könne etwas warm werden, wenn das Kontrastmittel in die Vene kommt. Gut, ich dachte mir nichts dabei und war der Meinung, es würde an der Hand etwas warm werden….stattdessen begann mein ganzer Oberkörper ab Speiseröhre bis Blase zu brennen, dass ich dachte mein letztes Stündchen hätte geschlagen. Fürchterlich und ich bin wirklich nicht zimperlich. Ein Gefühl was ich definitiv nicht noch eunmal brauche. Auf dem Weg zum Auto brauchte ich gefühlte 50 Toilettengänge im kompletten Klinikum, denn 3 Liter Kontrastmittel wollen früher oder später wieder hinaus.
Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Am 16. soll ich ins Klinikum und am 18. ist die OP angesetzt. Das ist bereits nächste Woche! Erst vergeht die Zeit nicht und zieht sich wie Kaugummi und jetzt beginnt sie zu rennen wie Durchfall.
Zudem bin ich unter Stress bis heute wissen lediglich zwei Freundinnen im Vertrauen davon, jedoch die Menschen die mir deutlich näher stehen mir denen ich täglich in Kontakt bin nicht. Mein Bruder weiß bis heute nichts von der Diagnose. Mein Plan war es ihm nächsten Montag erzählen weil er übers Wochenende mit seinem Mann zu einer Taufe fährt. Nun kann ich es nicht mehr bis Montag aufschieben.
Da müssen wir beide jetzt durch.